Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
Zwischen Jack und mir lief nichts, aber das ging Milo überhaupt nichts an. Es war nicht meine Schuld, dass er durch Jacks Attraktivität jetzt noch verwirrter war, was seine sexuellen Neigungen anging. Wenn er mir davon erzählt hätte, hätte ich Jack nicht nach Hause gebracht.
» Was soll’s«, murmelte Milo.
» Was hab ich denn verbrochen?«, fragte ich und knallte die Spindtür zu. Er ließ die Arme fallen und schaute mich erschrocken an. » Und wenn zwischen Jack und mir etwas laufen würde, was wäre dann? Niemand kann mir das verbieten. Es ist meine Entscheidung, ob ich mit ihm befreundet bin oder etwas mit ihm anfange oder was auch immer. Er ist ein netter Kerl, und es wäre absolut verständlich.«
» Wenn du das sagst«, meinte Milo, doch er klang weder vertrauensvoll noch wütend.
» Milo, das ist lächerlich.« Ich rückte den Träger meiner Schultasche auf der Schulter zurecht und sah ihn gutmütig an. » Ich weiß es, okay? Ich habe gesehen, wie du Jack angeschaut hast.«
» Wovon redest du?« Er lief rot an und wandte nervös die Augen ab.
Ihn in der Schule mitten auf dem Gang zu outen, war wahrscheinlich nicht die beste Idee gewesen, aber ich konnte seine Reserviertheit mir gegenüber einfach nicht mehr ertragen. Er sagte mir normalerweise alles, doch in diesem Fall schien es, als würde er es mir nie verraten, wenn ich ihn nicht darauf anspräche.
» Das ist okay.« Ich sprach jetzt leiser, damit niemand mithören konnte. » Wenn du schwul bist, ist das okay. Ich verstehe das.«
» Du verstehst gar nichts!«, schrie Milo.
Als er mit Tränen in den Augen zu mir aufsah, wurde mir klar, dass ich soeben einen schlimmen Fehler begangen hatte. Ich konnte ihn nicht zwingen, sich zu outen. Wenn er noch nicht bereit war, mit mir darüber zu reden, hätte ich das respektieren müssen.
» Milo …«, begann ich, ohne zu wissen, wie ich meinen Satz beenden sollte. Er hätte mir ohnehin nicht zugehört, denn er drehte auf dem Absatz um und stürmte den Gang entlang davon, sodass ich allein darüber nachdenken konnte, was für ein Arschloch ich war.
Als ich nach der Schule im Bus Platz nahm, setzte er sich demonstrativ auf die andere Seite. Und auf dem Weg von der Bushaltestelle nach Hause lief er im Laufschritt vor mir her. Ich versuchte ihn einzuholen, doch als ich in der Wohnung angekommen war, hatte er bereits seine Zimmertür hinter sich zugeschlagen.
Er musste wirklich wütend sein, wenn er einen Wutanfall meiner Mutter riskierte, um mir zu zeigen, dass er sauer auf mich war. Mit einem Seufzer ließ ich mich aufs Sofa fallen und fragte mich, wie er es wohl so lange mit mir ausgehalten hatte.
Ich schaute zwei ganze Folgen einer Gerichtsshow, ohne ein Wort von Jack oder Milo zu hören, und hatte allmählich den Eindruck, die ganze Welt wolle mich strafen. Auch Jane hatte nur während der Mittagspause mit mir gesprochen, und auch dann nur, um mir aufzulisten, wie viel sie getrunken und mit wem sie in den Ferien Sex gehabt hatte.
Ich wollte mich nur noch auf dem Sofa zusammenrollen und am Leben verzweifeln, doch dann hörte ich das vertraute Time-Warp- Klingeln und griff blitzschnell nach meinem Handy.
Ist die Schule vorbei? , schrieb Jack, und ich fragte mich, wie lange es wohl her sein musste, dass er nicht mehr zur Schule ging.
Ja. Seit ungefähr zwei Stunden. Warum? , antwortete ich.
Gut. Bist du startklar? Das war eigentlich keine Antwort auf meine Frage, aber das war ja nichts Neues.
Ja, klar. Was schlägst du vor? , schrieb ich zurück.
Ich hol dich in 15 Min. ab.
Und das war’s. Meine Schulklamotten waren okay (ich trug eine Jeans, ein Sweatshirt und darüber eine schöne schwarze Weste), aber mein Make-up konnte eine Auffrischung gebrauchen. Also flitzte ich ins Bad, puderte nach und fuhr mir mit der Bürste durchs Haar.
Ich war schon auf dem Weg zur Haustür, als ich innehielt. Ich holte tief Luft und klopfte an Milos Tür.
» Milo?«, sagte ich vorsichtig. Obwohl keine Antwort kam, sprach ich weiter. » Ich weiß, du bist sauer auf mich, und das zu Recht. Ich hab mich wirklich dumm benommen. Aber ähm …« Ich seufzte und überlegte, was ich noch sagen sollte. » Ich bin für dich da, wenn du mit mir reden willst. Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich jetzt mit Jack treffe. Aber du kannst mich anrufen, wenn du willst. Okay?«
Ich wartete eine Weile, doch als wieder keine Antwort kam, eilte ich zur Tür hinaus, um Jack nicht warten zu lassen.
Mit dem Gefühl, die
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