Unter dem Vampirmond 01 - Versuchung
Schulter, als fürchtete sie, ich würde sie wegstoßen. Das tat ich nicht, obwohl es nur allzu verständlich gewesen wäre. » Warum gehen wir nicht in die Küche und holen dir etwas Wasser? Dann können wir uns setzen und uns in Ruhe unterhalten.«
» Bin schon dabei«, sagte Jack, als wir in die Küche kamen.
Er hatte mir aus dem Wasserfilter im Kühlschrank ein großes Glas kaltes Wasser mit Eiswürfeln eingegossen und wollte es mir reichen. Doch bevor ich das Glas nahm, warf ich einen Blick in den Kühlschrank. Milo hatte recht gehabt: Er war vollkommen leer. Als ich davor stehen blieb und hineinstarrte, bot mir Jack erneut das Glas an.
Ich schloss den Kühlschrank und kippte das Wasser gierig hinunter. Als ich meinen Durst gelöscht hatte, wandte ich mich zu den beiden um. Jack lehnte mit nacktem Oberkörper am Küchentresen, während Mae nervös ihre Hände knetete. Beide starrten mich an.
» Jack, ich wünschte wirklich, du hättest damit gewartet, bis Ezra zu Hause ist, oder zumindest Peter«, sagte Mae leise.
» Ich konnte nicht mehr länger warten«, sagte Jack müde.
» Ich weiß, aber Ezra und Peter sind so viel erfahrener.« Mae wechselte einen besorgten Blick mit Jack, dann zog sie einen der Barhocker heraus und bot ihn mir an. » Hier, Liebes, warum setzt du dich nicht ein wenig?«
» Wo ist Ezra?«, fragte ich, als ich Platz nahm, fest entschlossen, zuerst die einfachen, rationalen Fragen zu stellen, und nicht etwa: Also, wie steht’s, wollt ihr mein Blut saugen? Denn das war das Letzte, woran ich in diesem Moment denken wollte.
» Er sucht nach Peter«, antwortete Jack, und Mae sah ihn an.
Sie wickelte sich eine lockige Haarsträhne um die Finger, und ich ahnte, wie gern sie mit meinem Haar gespielt hätte. Mein Glas war fast leer, und ich stellte es seufzend auf den Tresen.
» Dann seid ihr also Vampire?«, sagte ich und kam mir dabei unglaublich blöd vor. Sie waren eine ganz normale, gesunde Familie, und Vampire gab es nicht.
» Ja, Liebes.« Mae lächelte mich an, und es war wohl das traurigste und zugleich ängstlichste Lächeln, das ich je gesehen hatte.
Sie waren beide unglaublich nervös, und ich konnte mir nicht erklären, warum. Schließlich waren sie doch die übermächtigen, starken Vampire und ich nur ein kleines, schwaches Mädchen. Wenn irgendjemand nervös sein sollte, war ich das.
» Ihr alle?« Ich sah von Mae zu Jack, der nur bedeutungsvoll nickte. » Warum habt ihr dann gesagt, dass es besser wäre, wenn Ezra oder Peter hier wären? Wisst ihr dann nicht ebenso viel?«
» Sie sind älter, viel älter«, erklärte Mae, wobei ihre Züge sich etwas entspannten.
» Wie alt seid ihr?« Ich dachte plötzlich an jenen ersten Abend im Diner zurück, als ich Jack diese Frage schon einmal gestellt hatte, und daran, wie er damals darüber gelächelt hatte.
» Nun, ähm, ich war vierundzwanzig, als ich zum Vampir wurde, und das war 1994. Ich schätze, das heißt, ich bin jetzt in den Vierzigern.«
» Du wirkst aber nicht so alt«, sagte ich, und er lachte, was die Anspannung ihm Raum merklich verringerte.
» Vampire altern offensichtlich anders«, sagte Jack und wies auf seinen nackten Oberkörper, der keinen Tag älter aussah, als der eines Vierundzwanzigjährigen.
» Körperlich altern wir kaum«, erklärte Mae. » Wir reifen auf eine ganz andere Weise. Wenn wir uns verwandeln, entwickeln wir uns gefühlsmäßig sogar zurück. Jack ähnelt deshalb eher einem Teenager als einem Mittzwanziger. Zum Teil liegt das sicherlich an seinem Charakter.« Mae lächelte Jack an und fuhr dann fort. » Doch ein weiterer Grund dafür ist sein Alter. Und weil unser Verstand immer klar bleibt, werden wir nie wirklich alt. Wir lernen aus unseren Erfahrungen und werden dadurch reifer, aber nicht auf dieselbe Weise, wie es die Menschen tun. Jack wird sich nie wie ein Mann in den Vierzigern verhalten, egal wie alt er wird.«
Im Nachhinein betrachtet, passte vieles, was er getan hatte, eher zu jemandem in meinem Alter. Das war wohl auch ein Grund dafür, warum wir uns trotz unseres Altersunterschieds so gut verstanden. Denn er war zwar älter, aber nicht reifer als ich.
» Und wie alt bist du?«, fragte ich Mae.
» Ich war achtundzwanzig, als ich ein Vampir wurde, und das war vor … wow, das war vor zweiundfünfzig Jahren.« Sie schien selbst ein wenig überrascht, als hätte sie schon eine ganze Weile nicht mehr über ihr Alter nachgedacht. Dann lächelte sie und sagte: » Also bin ich
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