Unter dem Vampirmond 04 - Schicksal
unterbrochen worden war, doch das war nicht der Fall. Ich überlegte mir, sie zurückzurufen. Aber wenn Olivia sagte, ich solle sofort kommen, war es sicherlich etwas Wichtiges, und ich sollte besser keine Zeit mit unnötigen Telefonaten verschwenden.
» Hey, Alice, wie geht es …?«, hob Milo an, der soeben das Zimmer betrat. Als er sah, dass ich meine Schuhe anzog, brach er seinen Satz ab. » Wohin gehst du?«
» Weg«, sagte ich. Dann seufzte ich und schüttelte den Kopf. Nach der Erfahrung mit Jack war es wohl ratsam, von nun an keine Geheimnisse mehr zu haben. » Olivia hat angerufen. Sie will, dass ich zu ihr komme.«
» Wozu?«, fragte Milo stirnrunzelnd.
» Das hat sie nicht gesagt, aber es klang wichtig.«
» Ich komme mit«, sagte er mit demselben bestimmten Ton, den Ezra verwendete, wenn etwas außer Diskussion stand.
» Musst du nicht zur Schule?« Ich wollte nicht, dass er mich begleitete, wenn Olivia möglicherweise in Schwierigkeiten steckte, doch das konnte ich ihm so nicht sagen. Er würde sonst nur noch mehr darauf bestehen mitzukommen.
» Es ist Freitagabend zehn Uhr.«
» Ach, richtig.« Ich nickte. » Also, wenn das so ist. Komm.«
Da Milo mich begleitete, kam natürlich auch Bobby mit, was mich aber nicht weiter störte. Paradoxerweise nahm ich lieber Bobby auf gefährliche Unternehmungen mit als Milo, obwohl er viel verletzlicher war. Ich sorgte mich um Bobby beinahe genauso sehr wie um Milo, das konnte es also nicht sein.
Auf eine seltsame Weise war Bobby mir ein Freund auf gleicher Augenhöhe. Milo hingegen würde immer mein kleiner Bruder bleiben, der früher von seinen Mitschülern in Schließfächer gesperrt worden war und der meine Hilfe brauchte.
Milo sah das natürlich anders. Die beiden hatten offenbar einen ziemlich heftigen Streit gehabt, weil Bobby mich auf meinen heimlichen Touren begleitet hatte. Aber den hatte ich Gott sei Dank verschlafen. Obwohl sich die beiden bereits wieder versöhnt hatten, ließ es sich Milo auf der Fahrt zu Olivias Wohnung nicht nehmen, mir Vorwürfe zu machen, dass ich Bobby in Gefahr gebracht hatte.
Ich beneidete die beiden darum, wie schnell sie sich immer wieder versöhnten. Doch das lag wohl an Milos unerschöpflicher Geduld und Bobbys ungetrübter Bewunderung für Milo. Eigentlich hätte man meinen sollen, ihre Beziehung sei beinahe ebenso kompliziert wie die von Jack und mir, doch dem war nicht so.
Es war Freitagabend, weshalb die Vampirdisko ziemlich voll war. Um möglichst schnell zum Aufzug zu gelangen, durchquerten wir das V, doch an Abenden wie diesem konnte das ziemlich nervtötend sein.
Aus den Boxen dröhnte Bulletproof von La Roux, und obwohl ich den Song mochte, ertrug ich die Lautstärke kaum. Ich hatte in letzter Zeit wenig geschlafen und schon lange nichts mehr gegessen. Hinter meinen Augen kündigten sich Kopfschmerzen an und die Musik machte es nur noch schlimmer.
Ich tauchte in die verschwitzte Menge auf der Tanzfläche ein und bahnte mir meinen Weg. Normalerweise tat ich das eher zurückhaltend, doch jetzt schob ich jeden weg, der mir im Weg stand. Bobby riskierte, von der Menge verschluckt zu werden, also packte ich ihn am Arm und zog ihn mit. Milo folgte uns und wehrte jeden ab, der es auf Bobby abgesehen haben konnte.
» Pass doch auf, wo du hintrittst!«, schrie mich jemand an, und ich hätte mich nicht einmal nach ihm umgedreht, wenn er nicht laut gelacht hätte. » Du verfolgst mich, was?«
» Hey, das ist doch der Dreckskerl!«, sagte Bobby beinahe heiter.
Als ich mich umdrehte, schaute ich in Jonathans süffisantes Grinsen. Er trug eine offene Lederjacke ohne ein T-Shirt darunter, was trotz seines perfekten Waschbrettbauchs geschmacklos wirkte. Um seinen Hals hing ein silbernes Kreuz und schon deshalb hätte ich ihm eine reinhauen können.
» Habe ich denn Grund dazu?«, fragte ich ihn.
Jonathan stand einen halben Meter vor mir. Um uns herum hatte sich ein kleiner Kreis gebildet, in dem niemand tanzte, als würden wir gleich aufeinander losgehen. Bobby und Milo standen hinter mir, was den Eindruck noch verstärkte.
» Nur denselben wie alle anderen auch.« Jonathans Grinsen wurde breiter und entblößte mehr Zähne, als es wünschenswert gewesen wäre.
» Und der wäre«, fragte ich.
» Weil du mir nicht widerstehen kannst, Baby!«, antwortete er und breitete in einer übertriebenen Geste die Arme aus. Als Bobby spöttisch lachte, gefror das Grinsen auf Jonathans Gesicht, zwar nur für einen
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