Unter dem Vampirmond 04 - Schicksal
anlächelte, hörte Jack auf, mit Matilda zu spielen, und starrte uns an.
» Wäre es vielleicht möglich, dass ich bei euch kurz dusche?«, fragte Leif, zu Jack gewandt, der nur zustimmend nickte. Ezra hatte Leif bereits erlaubt, hier zu duschen, so oft er wollte, doch Leif fragte trotzdem jedes Mal auch Jack.
» Du kannst auch deine Klamotten waschen«, sagte ich, als Leif näher kam. Seine Jeans und sein Pulli glichen dreckigen Lumpen. » Oder du leihst dir was von Ezra. Ja, das wird das Beste sein. Wirf die hier einfach weg und nimm dir etwas von Ezra.«
» Danke.« Leif lächelte erneut.
Kaum war Leif im Haus verschwunden, schüttelte Jack den Schnee von seinem Anzug und kam zu mir herüber, während Matilda im Kreis um ihn herumrannte. Offensichtlich hatte sie noch nicht begriffen, dass die Zeit zum Spielen vorbei war.
» Du wolltest nicht wirklich mit Matilda spielen, nicht wahr?«, fragte ich Jack.
» Wie meinst du das?«, fragte Jack unschuldig.
» Du bist nur nach draußen gegangen, um Matilda von Leif wegzulocken. Du markierst immer dein Territorium, wenn er da ist.« Ich sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. » Wahrscheinlich sollte ich froh sein, dass du mich nicht anpinkelst.« Jack lachte und mir lief ein warmer Schauer über die Haut. Er hatte das schönste Lachen aller Zeiten, das mich immer aufs Neue faszinierte.
» Vielleicht.« Dann wurde Jack wieder ernst. » Sorry. Das war wirklich dumm von mir, kaum dass wir zurückgekommen sind. Ich bin ein ziemlicher Idiot.«
» Nein, ist schon okay. Mir geht es gut, einigermaßen.« Zum Beweis bemühte ich mich um ein Lächeln. » Wirst du trotzdem den Tag mit mir verbringen?«
» Ich will jeden Tag mit dir verbringen.« Er sah mit seinen blauen Augen liebevoll zu mir herab und küsste mich zärtlich. Seine Lippen waren kalt vom Schnee, aber ich liebte es, sie auf meinen zu spüren.
Ich lehnte den Kopf an seine Brust und ließ mich von ihm umarmen. Wenn es etwas gab, was mich wieder aufmuntern konnte, dann war es das.
Kapitel 5
Eisi g er Wind p eitschte mir durchs Haar. In dieser Höhe war er noch viel kälter als auf dem Boden. Die Glasfassaden der umliegenden Hochhäuser reflektierten wie Spiegel die Lichter der Stadt. Der Wolkenkratzer, auf dem wir uns befanden, ragte über fünfzig Stockwerke hoch empor und war damit höher als die meisten anderen in Minneapolis.
Die Eisenstange, die die Dachterrasse begrenzte, war eiskalt. Ich umklammerte sie fester und beugte mich weit über den Plattformrand hinaus. Olivia konnte es nicht mitansehen, wenn ich das tat, denn einen Fall aus dieser Höhe würde wohl selbst ein Vampir nicht überleben.
Ich hingegen sah es als eine Trainingserweiterung. Ich hatte zwar nicht direkt Höhenangst. Doch mir drehte sich der Magen um, und ich fühlte mich schrecklich desorientiert, wenn ich in die Tiefe sah. Und das galt es zu überwinden.
Die Scheinwerferlichter der Autos beleuchteten die Straßen, und die Menschen, die unter uns vorüberliefen, waren nur strecknadelgroße Punkte.
» Alice, kommst du da bitte runter?«, sagte Olivia genervt.
» Gleich!«
Olivia war ein atemberaubend attraktiver Vampir. Sie war bereits weit über sechshundert Jahre alt, sah jedoch keinen Tag älter aus als vierzig. Sie war die Besitzerin der Vampirdisko V, die sich im untersten Stockwerk des Gebäudes befand, und bewohnte gleichzeitig das Penthouse.
Bevor sie in Rente ging und den Club kaufte, war Olivia eine erfolgreiche Vampirjägerin gewesen. Gemeinsam mit einer Handvoll Kollegen kämpfte sie gegen skrupellose Vampire, die nicht nur Menschen, sondern auch anderen Vampiren gefährlich werden konnten.
Olivia mochte mich und hatte mir vor einigen Monaten im Kampf gegen eine Horde Lykane beigestanden. Ich konnte nicht genau sagen, wie weit diese Zuneigung ging, aber da sie wusste, dass ich mit Jack zusammen war, machte ich mir deshalb keine Sorgen.
Der Angriff damals führte mir grausam vor Augen, wie hilflos ich war. Ich war in dem Kampf deutlich unterlegen und wäre beinahe getötet worden. Auch Milo war in Lebensgefahr gewesen und ich konnte ihm nicht helfen. Damals erkannte ich, dass es nicht reichte, sich in einen Vampir zu verwandeln. Ich musste kräftig genug werden, um mich selbst und die, die mir am Herzen lagen, beschützen zu können. Also hatte sich Olivia dazu bereit erklärt, mich zu trainieren.
» Alice, wenn du nicht sofort da runterkommst, war das unser letztes Training«, warnte mich Olivia noch einmal.
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