Unter dem Vampirmond 04 - Schicksal
» Obwohl ich glaube, dass das mittlerweile keine große Drohung mehr ist.«
Wir hatten unsere üblichen Übungen gemacht, die wie beim Karate oder Kickboxen leichtes Krafttraining beinhalteten, jedoch hauptsächlich halfen, die bereits vorhandene Kraft richtig einzusetzen und im Kampf gewandt und standhaft zu bleiben.
Heute Nacht hatte ich sie relativ leicht überwältigt, weshalb sich Olivia zu beschweren begann, sie sei außer Übung. Tatsächlich hatte sie seit über fünfzig Jahren keinen Vampir mehr gejagt.
» Ich habe mich heute Nacht etwas abreagiert. Das ist alles«, sagte ich. Ohne mich umzusehen, spürte ich, dass sie an meine Seite getreten war. Gestern war Janes Beerdigung gewesen und dies war mein erstes Training mit Olivia seit meinem Geburtstag.
» Wie kommst du mit der Sache zurecht?« Olivia lehnte sich neben mich an das Geländer.
Noch immer lehnte ich mich mit dem ganzen Oberkörper weit übers Geländer, aber sie sagte nichts mehr. Eine Windböe kam auf und peitschte mir ihr langes schwarzes Haar ins Gesicht. Ich trug während des Trainings einen Pferdeschwanz, obwohl Olivia mir immer wieder sagte, ich müsse lernen, mit offenem Haar zu kämpfen.
» Wo war sie?«, fragte ich. Als ich keine Antwort bekam, sah ich Olivia an. » Wo haben sie Jane gefunden?«
» Auf der Hennepin.« Sie wies mit einem Nicken auf die Straße unter uns. » Ungefähr einen Block weit in diese Richtung.«
» Hast du sie gesehen?« Ich starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Gehweg. Ich war zu weit weg, um etwas zu erkennen.
» Gerade gut genug, um zu wissen, dass sie es war.« Olivia trat vom Geländer zurück und ging in Richtung Tür. Sie hatte eine neue Taktik gefunden, mich vom Abgrund wegzulocken: Information.
» Woher wusstest du überhaupt, dass sie dort war?« Ich sprang vom Geländer und eilte ihr nach.
» Wenn so nah bei meinem Club jemand stirbt, ist es meine Pflicht, mich darum zu kümmern«, sagte Olivia ernst.
» Hast du dich um Jane gekümmert?«, fragte ich.
» Die Polizei war schon da, als ich davon erfuhr. Da gab es nichts mehr, was ich hätte tun können.« Sie öffnete die Tür und ging die Treppe hinunter. » Soweit ich weiß, hatte sie keine Bisswunden. Ich glaube deshalb nicht, dass es ein Vampir gewesen ist.«
» Aber sicher bist du dir nicht?« Ich folgte ihr eilig.
» Nichts ist sicher, außer dass das arme Mädchen tot ist«, sagte Olivia unverblümt und stieß die Tür zu ihrer Wohnung auf.
Das Penthouse war ein großes, luxuriöses Loft, dessen Grundriss eher an ein Dreieck als an ein Quadrat erinnerte. Alle Außenwände bestanden aus Glas und überall war Marmorboden. Die Treppe führte direkt in ihr Wohnzimmer, dem Mittelpunkt des Apartments.
Vornehme, dick gepolsterte Möbel machten den Raum wohnlich. Alles war sehr elegant, obwohl Olivias Hauptanliegen definitiv das Gemütliche war. In einer Ecke des Raums hatte sie eine kleine Küche eingerichtet, um die vielen Menschen zu bewirten, die sie regelmäßig hier oben empfing, seit sie aufgehört hatte, Konservenblut zu trinken. Ihr Motto war, » wenn es nicht frisch ist, ist es keine Mahlzeit«.
In der Mitte des Apartments, hinter der Treppe, befand sich in einem abgewinkelten Bereich der Aufzug, der ausschließlich in den Keller führte. Es war der einzige Weg zu ihrem Apartment und er führte zwingend durch die Vampirdisko.
Des Weiteren gab es drei luxuriöse Schlafzimmer, allesamt ohne Fenster. Eines davon war ihr eigenes Schlafzimmer, die anderen beiden dienten für ihren gelegentlichen Besuch.
» Weißt du wirklich gar nichts?«, fragte ich Olivia, als sie sich auf einem ihrer extravaganten Sofas ausstreckte. Sie trug ausschließlich knappe, eng sitzende Lederklamotten, die, wenn sie sich streckte, verrutschten und ihre makellose Haut preisgaben.
» Ich weiß viel, aber nichts Brauchbares über deine Freundin.« Sie drehte sich gähnend auf den Bauch. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück.
» Aber du bekommst im Club doch alles mit!«
» Dort schert sich niemand um einen toten Menschen«, sagte Olivia, von mir abgewandt, in ein Kissen. » Nichts für ungut, Liebling. Aber darüber wird kein Wort verloren.«
» Aber es geht um mehr als einen toten Menschen. Schließlich geht die Polizei von einem Serienkiller aus«, sagte ich.
» Ja, einem menschlichen Serienkiller.«
» Ich verstehe nicht, wo da der Unterschied sein soll. Mord ist Mord.«
Ich hasste das Gerede darüber, wie wenig Vampiren angeblich das
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