Unter dem Vampirmond 04 - Schicksal
kein unordentlicher Mensch, aber seit sie weggegangen war, war er in vielen Dingen nachlässig geworden. Beim Aufräumen hatte Mae stets ein Lied auf den Lippen, diesmal war es ein leiser, bluesartiger Song von Etta James.
» Du kannst ruhig hereinkommen. Ich habe dich bemerkt«, sagte Mae, ohne aufzusehen. Sie faltete eine Hose von Ezra zusammen, die zerknittert auf einem Stuhl gelegen hatte, und legte sie aufs Bett.
» Sorry«, murmelte ich und stieß die Tür ganz auf.
» Ihr braucht euch nicht vor mir zu verstecken. Ich beiße nicht.« Sie hob weitere Kleidungsstücke vom Boden auf und legte auch diese sorgfältig zusammen. » Ich hätte nicht gedacht, dass Ezra so unordentlich werden würde, wenn ich ausziehe. Und auch im Spülbecken stapelt sich das Geschirr. Wäscht denn keiner von euch ab?«
» Bobby ist der Einzige, der isst. Also ist er für den Abwasch verantwortlich«, sagte ich.
» Er ist ein Gast, und ihr seid alle fähig, für Ordnung zu sorgen, egal wer das Chaos verursacht hat.« Nachdem sie alle Kleidungsstücke zusammengelegt hatte, kümmerte sie sich um die Bücher und Zeitungen, die überall im Raum verstreut lagen. » Ihr seid alle erwachsene Leute und solltet euch auch so verhalten.«
» Milo ist noch nicht erwachsen«, korrigierte ich sie und lehnte mich mit dem Rücken an die Wand.
» Wie geht es deinem Bruder?« Mae stapelte die Bücher ordentlich übereinander und hielt dann einen Augenblick inne. » Er hat weder in Australien noch bei meiner Ankunft hier viel mit mir gesprochen. Ich hatte das Gefühl, er will mich hier nicht und ist wütend auf mich.«
» Es geht ihm gut«, sagte ich. » Aber … seien wir ehrlich, Mae, wir sind alle irgendwie wütend auf dich.«
» Hmm.« Sie strich sich eine Haarsträhne zurecht und huschte dann weiter durch den Raum und räumte auf. » Ich habe nicht erwartet, dass ihr mich versteht, aber ich hatte gehofft, ihr würdet mich zumindest unterstützen.«
» Wir alle können deine Gefühle nachvollziehen. Ich verstehe sie vollkommen.« Ich ging auf sie zu, doch sie war dabei, eine Decke zusammenzulegen, und hatte mir den Rücken zugewandt.
» Nein, das tust du nicht. Keiner von euch tut das. Ihr denkt nur, dass ihr es tut.«
» Gut. Wie du meinst. Dann tue ich es eben nicht. Niemand versteht deinen Schmerz, Mae. Denn er ist so einzigartig! Niemand außer dir hat jemals jemanden so sehr geliebt, dass er alles dafür getan hätte, ihn zu retten. Das kannst nur du, Mae!«
» Sprich nicht so mit mir!« Mae wirbelte herum und sah mir zum ersten Mal ins Gesicht. » Ich habe deine Verachtung nicht verdient! Ich habe eine Entscheidung getroffen, die dich nicht einmal etwas angeht!«
» Natürlich geht sie mich etwas an! Du und › deine Entscheidung‹ versteckt euch gerade in unserem Haus und bringt meine Familie und Freunde in Gefahr!«
» Wir werden von hier verschwinden, sobald …«
» Das ist Teil des Problems, Mae!«, unterbrach ich sie. » Wir wollten dich nicht aus unserem Leben verbannen, aber du hast uns keine andere Wahl gelassen. Sie kann hier nicht wohnen, nicht mit uns. Und das heißt, dass wir auch mit dir nicht mehr leben können.«
» Du weißt genau, dass ich euch nicht verlassen wollte.« Sie neigte mit tränenerfüllten Augen den Kopf. » Ich habe euch alle so lieb und wollte den Rest meines Lebens mit euch verbringen. Aber ich habe meine Familie schon einmal im Stich gelassen. Ich musste sie retten.«
» Aber zu welchem Preis, Mae?«
» Ich weiß.« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen und wandte sich ab, um nicht vorhandene Falten aus der Bettdecke zu streichen. » Ich weiß, was ich getan habe. Ich weiß, was sie ist.« Sie schluckte und sah mir in die Augen. » Ich werde sie nicht im Stich lassen. Das kann ich nicht.«
» Das verlangt auch niemand von dir«, sagte ich schließlich.
» Danke.« Sie nickte und legte dann Ezras Kleidung in den Wäschekorb. » Wie ging es Ezra?«
» Es geht ihm jetzt besser.« Erleichtert über den Themenwechsel, setzte ich mich aufs Bett. » Er hat mir beim Lernen geholfen.«
» Oh? Ich wusste nicht, dass du wieder zur Schule gehst.« Mae klang angenehm überrascht.
» Das tue ich auch nicht. Zumindest noch nicht, aber Ezra will vermeiden, dass ich verdumme.« Ich zuckte mit den Schultern. » Ich glaube, ich werde nächstes Jahr wieder die Highschool besuchen. Das ist leichter als das, was mir Ezra aufgibt.«
» Gut. Es freut mich, dass du fleißig bist.« Sie lächelte und setzte
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