Unter dem Vampirmond 3 - Verlangen
auf meinem Arm, als fürchte er, ich würde gleich wieder in Tränen ausbrechen, wenn er mich losließe.
»Mach dir keine Sorgen. Ich habe doch gemerkt, wie schwer das für dich war«, sagte Peter.
»Er weint nicht einmal.« Ich verfluchte die Tränen auf meinem Gesicht und schämte mich, weil ich mich aufführte wie ein kleines Kind.
»Für ihn ist es anders. Er hat so etwas schon erlebt, wenn auch vielleicht nicht in diesem Ausmaß.« Peters Blick wurde hart.
»Wie meinst du das, er hat das schon erlebt?«, fragte ich.
»Sein ehemaliger ›Meister‹ Willem hat ihn so misshandelt. Das war ein grässlicher Sadist. Diesmal hatte es Ezra mit einem ganzen Rudel Sadisten zu tun. Ich bin auch schon gebissen worden, aber nicht von so vielen. Das ist ...« Er brach ab.
»Was?«, hakte ich nach.
»Das Blut brannte mir in den Adern. Mein Körper wehrte sich dagegen, dabei war ich sowieso schon ausgelaugt. Zu den körperlichen Qualen, die unerträglich sind, kommt der seelische Schmerz. Man will Dinge, die man sonst nicht will. Man ekelt sich vor sich selbst und ...« Er schüttelte den Kopf. »Das ist Folter, nichts anderes.«
»Wird er sich erholen?«, fragte ich.
In diesem Moment kam Ezra aus dem Bad. Er trug frische Kleider. Die Bisse an Hals und Handgelenk waren endlich verheilt. Er war noch blass und wirkte traurig und erschöpft, doch er konnte sich wieder normal bewegen.
Auf dem Weg zum Flughafen sprach er kaum ein Wort. Er war angespannt und kämpfte wohl immer noch gegen Schmerzen. Im Flugzeug entschuldigte er sich immer wieder flüsternd bei mir. Ich wiegelte ab, ich sagte, er hätte mit Sicherheit dasselbe für mich getan.
Mein Respekt für Ezra wurde durch dieses Erlebnis nur noch größer. Wenn es ihm dermaßen zusetzte, hätte es jeden anderen umgebracht.
Auf dem Rückflug in die USA hielt er die Augen fest geschlossen und die Lippen aufeinandergepresst. Ich konnte den Blick kaum von ihm abwenden, weil ich fürchtete, dass er sonst doch noch sterben könnte.
Kapitel 11
Als wir in Minneapolis landeten, war Ezra wieder fast der Alte. Eine sehr gedämpfte Version seiner selbst, doch immerhin konnte er sprechen und gehen, ohne vor Schmerz das Gesicht zu verziehen. Da ich mich völlig auf ihn konzentriert hatte, hatte ich niemandem Bescheid gesagt, dass wir auf dem Rückflug waren. Wir nahmen ein Taxi und beschlossen kurzerhand, die anderen mit unserer Rückkehr zu überraschen.
Kaum hatte das Flugzeug den Boden berührt, verspürte ich in meinem Herzen einen starken Sog. Nachdem mich viele Tage lang ein dumpfer Schmerz an die Trennung von Jack erinnert hatte, kreischte ich nun innerlich vor Glück, ihm so nah zu sein. Als das Taxi vor dem Haus hielt, stürmte ich aus dem Auto.
Ich war auf dem Weg zur Haustür, als Jack gerade in die Auffahrt kam, die blauen Augen vor Überraschung weit aufgerissen. Ein gigantisches Lächeln überzog sein Gesicht und ich sprang ihm in die Arme und schlang meine Hände um seinen Hals.
Ich spürte sein Herz schlagen. Es war diese Innigkeit, die ich so schmerzlich vermisst hatte. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit erfüllte mich ein Gefühl der Zufriedenheit und der inneren Ruhe. Ich schloss die Augen, um die Freudentränen zurückzuhalten. Am liebsten wäre ich bis in alle Ewigkeit in Jacks Armen geblieben.
Dass Peter das Haus betrat, merkte ich daran, dass sich Jacks Muskeln anspannten. Ich hörte Mae und Ezra miteinander reden, doch Peter sagte kein Wort.
Ich wünschte mir, Jack noch näher zu sein, ihn mit Küssen zu überschütten und ... na ja, noch viel mehr. Doch da wir unter Leuten waren, musste ich mich von ihm lösen und mich anständig benehmen. Als ich die Augen öffnete, sah ich über Jacks Schulter hinweg ein neues Gesicht. Neben meinem Bruder Milo stand ein Typ, den ich noch nie gesehen hatte und der uns neugierig musterte.
Er war wohl etwas älter als ich, hatte schwarzes Haar, das ihm in die Stirn fiel, und einen fast olivfarbenen Teint. Er war etwas kleiner, als Milo es als Mensch gewesen war, und unter dem tiefen V-Ausschnitt seines T-Shirts und auf den Armen waren Tätowierungen zu sehen. Wenn mich meine Wiedersehensfreude mit Jack nicht abgelenkt hätte, wäre er mir wohl schon früher aufgefallen. In seinen Adern pulsierte warmes Blut, menschliches Blut. Erst jetzt wurde mir klar, wie lang meine letzte Mahlzeit schon zurücklag. Da ich viel Zeit in der Gesellschaft von Menschen verbracht hatte, hatte ich mich mittlerweile besser im Griff als
Weitere Kostenlose Bücher