Unter dem Weltenbaum - 01
offenbar auf unerklärliche Weise verändert, und Faraday fragte sich, ob er dort einfach vom Jüngling zum Mann gereift war oder ob sich mehr dahinter verbarg. Die Halle der Sternenreisenden hatte sicher schon merkwürdigere Dinge bewirkt, als einen Knaben zum Mann zu machen.
Auf dem Nachtmarsch nach Norden wurde die kleine Gruppe unentwegt von eisigen Böen geplagt; sie fröstelten und stolperten dahin. Jack schritt unermüdlich aus, lief den anderen ein Stück voraus und hielt den Stab fest umklammert. Die Schweine folgten ihm auf dem Fuß. Timozel blieb an Faradays Seite, half ihr, wann immer sie einen starken Arm brauchte, und reichte manchmal auch Yr die Hand. Bei diesem Wetter verging jedem die Lust, sich zu unterhalten. Sie benötigten alle ihre Kräfte, um einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Die Ebene von Arkness erwies sich als ebenso öde und leer wie die von Tarantaise. Diese südlichen Grasweiten nutzte man im Sommer als Weidefläche für Vieh und Schafe, aber wenn der Winter heranrückte, trieben die Hirten ihre Herden dichter an die wenigen und weit auseinanderliegenden Dörfer heran. Wie Jack erklärte, hielten sich zu dieser Jahreszeit nur noch ein paar Herden robuster Schweine auf den freien Flächen auf, und selbst die würden bald zu ihren Winterquartieren geführt.
Timozel hatte den Wächter ziemlich zu Anfang des Marsches gefragt, als ihm zum Reden noch genügend Atem zur Verfügung stand, wohin sie denn zögen und wie er Faraday nach Gorken zu bringen gedenke.
»Indem wir immer nach Norden gehen«, hatte der Schweinehirt nur geantwortet. »Und das auf möglichst geradem Weg. Sobald wir das Tailem-Knie des Flusses Nordra erreicht haben, können wir in Jervois sicher ein paar Pferde mieten und das letzte Stück durch Ichtar reiten. Der Weg zur Festung Gorken ist gut markiert, und Herzog Bornheld hat dort während der vergangenen Jahre ausreichend Versorgungsstationen angelegt. Mit etwas Glück dürften wir keine Schwierigkeiten mehr bekommen.«
Der Jüngling wollte von den Wächtern wissen, warum sie nicht einfach mit Faraday in eine der großen Städte reisten, nach Kastaleon zum Beispiel oder sogar zurück nach Karlon, um dort eine Beförderungsmöglichkeit zu finden, die dem Rang der Edlen entsprach. Jack bedachte ihn daraufhin mit einem Blick, als habe er einen geistig zurückgebliebenen Knaben vor sich. »Weil niemand verstünde«, entgegnete er barsch, »warum das Fräulein es so furchtbar eilig hat, zum Herzog zu gelangen. Man hielte es mit allen Mitteln fest, damit es sich nicht im Norden in Gefahr begäbe.«
Timozel nickte stumm. Genau mit der Antwort hatte er gerechnet. Die Reise in einer so kleinen Gruppe kam ihm durchaus nicht ungelegen. Zwar behagten ihm die neuen Gefährten nicht sonderlich, aber er konnte Faradays Wunsch nachvollziehen, unbedingt zu Bornheld zu kommen. Jede Herrin fühlte sich schließlich nur an der Seite ihres Gemahls wohl und fürchtete sich vor den Tagen, da sie von ihm getrennt war.
Man dachte sich eine Geschichte für den Fall aus, daß jemand ihnen über den Weg laufen und Fragen stellen sollte. Danach sei die Herrin Faraday mit ihrer Zofe Yr und zwei Beschützern nach Arken unterwegs gewesen und in der Ebene von Arkness von dem fürchterlichen Sturm überrascht worden. Timozel sei als einziger Soldat der Eskorte übriggeblieben – alle anderen seien von den Eisspeeren erschlagen worden. Auch habe keines der Pferde überlebt. Tagelang seien sie in der Ebene herumgeirrt, bis Jack sie entdeckt habe, der gerade seine Schweine nordwärts zum Winterquartier in den Hügeln von Bracken getrieben habe. Der gutherzige Schweinehirt habe sich sogleich erboten, die Reisenden zu den Städten Rhätiens im Nordwesten von Arkness zu führen … Eine Geschichte mit einigen Ungereimtheiten, aber wenn niemand allzugenau nachfragte, würden sie damit durchkommen.
Jack ordnete eine weitere Rast an, als im Osten der Morgen dämmerte. Faraday hatte sich die letzte halbe Meile von ihrem Ritter tragen lassen, und Yr war alle vierzig oder fünfzig Schritt gestolpert und hatte sich dabei jedesmal Hände und Knie aufgeschürft. Nun drängten sich die Reisenden an der windabgewandten Seite einer kleinen Erhebung aneinander und versuchten, sich im eisigen Wind gegenseitig zu wärmen. Die Schweine stellten sich im Halbkreis um sie auf. Faradays Zähne schlugen aufeinander. Sie mußte diese Reise unbedingt durchstehen, denn Axis’ Leben hing davon ab, daß sie Bornhelds
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