Unter dem Weltenbaum - 01
lächelnd und nickend mit einer großen Kelle einen Becher mit Brühe aus dem Riesentopf.
»Herrin«, strahlte sie und brachte ihr die Suppe, »Ihr und Eure Gefährten habt nahezu einen ganzen Tag lang geschlafen.« Die Bäuerin sprach mit dem gedehnten Zungenschlag der Südprovinzen, der lieblicher und sanfter im Ohr klang als der rauhe Dialekt in Skarabost.
Das Mädchen nahm den Becher dankbar entgegen, umfaßte ihn mit beiden Händen und trank einen kleinen Schluck. Jack und Timozel schlummerten noch auf der Bank. Der Jüngling regte sich im Schlaf, so als habe er gerade einen schlimmen Traum.
»Ihr könnt von großem Glück sagen, Herrin, auf den Schweinehirten gestoßen zu sein«, meinte die Bäuerin, als sie bemerkte, wohin die junge Frau blickte. »Bei diesem furchtbaren Wetter hättet Ihr wahrscheinlich nirgends einen Unterschlupf gefunden und wärt jämmerlich zugrunde gegangen.«
Faraday sah die Frau wieder an. Sie mochte Ende dreißig sein, wirkte aber deutlich verbraucht vom harten Leben auf dem abgelegenen Hof. Das strähnige braune Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt, vermutlich weil es sie so am wenigsten bei der Arbeit störte. Sie trug ein Kleid aus brauner Kammgarnwolle, die sich bei der Landbevölkerung großer Beliebtheit erfreute, und hatte die Ärmel bis über die Ellenbogen zurückgerollt. Darüber hatte sie eine grobe Schürze aus schwarzer Wolle gebunden, und die geröteten rauhen Hände schoben sich unentwegt vor dem Bauch auseinander und ineinander.
Die Edle erkannte, daß sie ihre Gastgeberin anstarrte, und setzte rasch ein Lächeln auf, um ihre schlechten Manieren zu überspielen. »Wir bedanken uns sehr für Eure Hilfe, Frau Renkin«, erklärte sie und streckte eine Hand aus, um die Rechte der Bäuerin zu ergreifen. »Während der letzten Tage haben wir sehr wenig zu trinken und überhaupt nichts zu essen bekommen. Und wie Ihr sehen könnt, sind unsere Kleider kaum für die eisigen Winde und die frostigen Nächte gemacht. Meine, äh, Zofe und ich waren dem Ende nahe, als Jack uns endlich vor Eure Tür führte. Und Timozel, unser Beschützer, konnte uns aufgrund seiner eigenen Erschöpfung kaum noch ausreichend zur Seite stehen. Liebe Frau, ich weiß nicht, wie wir Euch all die Freundlichkeit angemessen vergüten können, die Ihr uns erwiesen habt.«
»Ach, das ist doch nicht der Rede wert!« Die Bäuerin lachte übers ganze Gesicht. »Jedes artorfürchtige Wesen hätte das gleiche für Euch getan.« Sie hielt kurz inne und fand den Mut zu sagen, was sie offenbar schon die ganze Zeit über vorbringen wollte: »Ach, Herrin, Ihr seid so wunderschön!« Die vertrauliche Geste von vorhin, als Faraday ihre Hand ergriffen hatte, verlieh der Bauersfrau jetzt genügend Mut, selbst eine Hand auszustrecken und dem Mädchen bewundernd eine Strähne des kastanienbraunen Haars aus der Stirn zu streichen. Offenbar hatte die Bäuerin noch nie einer Adligen so nahe gegenübergestanden, denn sie konnte sich gar nicht genug über Faradays weiche, helle Haut auslassen. Die Mädchen, die sie kannte, hatten spätestens mit zwanzig Jahren Runzeln und Falten im wettergegerbten Gesicht, die sie den langen Monaten auf dem Feld oder anderer Arbeit verdankten, wenn sie für ihre Männer einspringen und das Vieh auf die Weide treiben mußten.
Faraday trank ihre Suppe aus und lächelte. »Ach, gute Frau, wir sind so verschmutzt! Darf ich Eure Gastfreundschaft noch mehr beanspruchen und um Wasser bitten, damit wir uns waschen können? Und wenn Ihr vielleicht ein paar saubere Sachen für uns hättet, bis wir unsere schmutzigen Kleider gereinigt haben … Ach, und meine Zofe hat überhaupt nichts mehr zum Anziehen, denn sie …« Rasch ließ sich Faraday etwas einfallen, »… denn sie badete gerade in einem Bach, als der Sturm uns überraschte und alle ihre Sachen mit sich riß. Wenn Ihr ihr einen Eurer Kittel überlassen könntet, käme ich gern dafür auf.« Faraday trug eine dünne Goldkette mit fünf Perlen am Hals. Sie hielt dies für eine ausreichende Bezahlung für Essen und Kleidung.
Aber die Frau freute sich so sehr darüber, solch vornehmen Besuch zu beherbergen, daß sie auch noch ihr letztes Hemd hergegeben hätte, wenn die Edle danach gefragt hätte. Faraday schüttelte Yr wach, und die beiden folgten der Bäuerin, auch wenn die Katzenfrau murrte, weil sie aus dem Schlaf gerissen worden war. Die wackere Frau führte sie zu einem kleinen Schuppen hinter dem Haus, in dem zwei
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