Unter dem Weltenbaum - 01
Text aufnahmen. Hier einer, dort einer und immer mehr. Und sie begriffen, daß sie nicht allein waren. Ihre Kameraden befanden sich in der Nähe.
Die Ballade schmiedete sie wieder zusammen, und so erhob sich neuer Mut in ihren Herzen.
Die Wolken rumpelten und zischten, und Blitze fuhren zum Himmel und in die Erde, aber das Lied ließ sich nicht mehr aufhalten, und ein immer größerer Chor schmetterte das Lied.
Der Mantel, der ist ein prächtiges Stück, Ich trag ihn seit vierzig Jahren und mehr. Hat zwar manchen Taler gekostet das Glück, Doch ich geh’ ihn meiner Lebtag nicht her.
Aus über dreitausend Kehlen donnerte das Lied in die Nacht.
Die Wolke löste sich an den Rändern auf. Die Blitze zuckten immer seltener und blieben bald ganz aus. Das Geflüster erstarb. Krallen und Schwingen verschwanden. Schließlich hörte man nichts mehr vom Sturm, und nur noch wenige Wolkenfetzen hielten sich hartnäckig an den Grasbüscheln fest. Augenblicke später hatte sich das Unwetter der Furcht verzogen. Nur die üblichen Wolken blieben am Himmel zurück und schütteten ihre Schneelast über dem Land aus.
Axis’ Stimme ertönte immer noch hell und klar durch die Nacht und führte den dreitausend Kehlen starken Chor zur letzten Wiederholung.
Belle, meine Frau, die ist mächtig schlau, Behält fast immer die Ruh’:
›Los, Mann‹, sagt sie, ›zieh den Mantel an, Und kümmere dich um die Kuh!‹
Einige hatten sich am Rand des Wahnsinns befunden, andere hatten die Grenze überschritten. Aber jeder einzelne kehrte zurück.
27 Zum Farnbruchsee
Am nächsten Morgen brachen sie auf. Die frisch gewaschene Kleidung würde sie gegen die Kälte schützen, sie führten ausreichend Vorräte und Decken mit, und sie hatten wie versprochen ein Maultier erhalten, das ihr Gepäck tragen sollte und sich tatsächlich als gutmütiges Geschöpf erwies. (Yr hatte sich bei der Bauersfrau völlig neu eingekleidet, dazu ein Paar Stiefel erhalten sowie einen alten, aber noch brauchbaren Mantel, der einmal dem Vater des Bauern gehört hatte.) Wie gewohnt übernahm Jack die Spitze, und den blödsinnigen Gesichtsausdruck legte er ab, sobald sie den Bauernhof weit genug hinter sich gelassen hatten. Die Schweine liefen fröhlich um ihren Hirten herum, ihnen folgte Timozel mit dem Lasttier, und die beiden Frauen bildeten den Schluß. Alle schritten wacker aus, fühlten sie sich doch ausgeruht und gestärkt. Zwar fiel immer wieder Schnee, aber wenigstens blieb der eisige Wind aus. Dennoch gefiel es keinem von ihnen, daß bereits mitten im Knochenmond die weiße Pracht vom Himmel schwebte – etliche Wochen zu früh für den Süden. Niemand sprach den Namen Gorgrael aus, aber der Zerstörer schien ihren Schritten wie ein Schatten zu folgen.
Faraday und Timozel hatten den Bauern erzählt, sie wollten weiter nach Norden und zu den Städten in Rhätien, aber der Schweinehirt führte sie in Wahrheit nach Nordosten zu den Farnbergen, einem niedrigen und schmalen Gebirgszug, der Skarabost von Arken trennte. Als die Reisenden die Berge vor sich sahen, schmerzten ihnen bereits die Beine vom ewigen Auf und Ab durch das wogende Hügelland. Sie trafen unterwegs niemanden, und kein Hindernis stellte sich ihnen in den Weg. Alle waren guter Dinge … bis auf Timozel. Ihn verdroß es, daß Jack die kleine Gruppe anführte, während ihm doch Artor in der Vision auf der Treppe die Zukunft gezeigt hatte: Dem Jüngling sei vorherbestimmt, eines Tages als großer Feldherr ein gewaltiges Heer anzuführen. Da hätte ihm doch eigentlich die Führerschaft zugestanden. Doch er behielt dies erst einmal für sich. Artor würde ihm schon ein Zeichen geben, wenn der geeignete Moment gekommen wäre. Bis dahin widmete er seine ganze Aufmerksamkeit und Zeit der jungen Edlen. Als ihr Ritter sorgte er dafür, daß sie am Lagerfeuer den besten Platz und von den Speisen die schmackhaftesten Stücke erhielt. In den Nächten jedoch kam er anderen Pflichten nach.
Schon am ersten Abend merkte Faraday, daß sich zwischen ihrem Ritter und der Katzenfrau etwas tat, und das berührte sie recht eigenartig. Die Blicke und Zeichen, die die beiden austauschten, und dann die leisen Geräusche, die von ihren Schlafplätzen herüberdrangen – all das stürzte sie in tiefste Verlegenheit. Und als sie auf ihrer Schlafmatte lag, mußte sie sich gegen die verstörenden Gedanken wehren, wie es wohl wäre, mit einem Mann zusammen zu sein. Bilder von Axis und Bornheld wehten durch ihr Bewußtsein
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