Unter dem Weltenbaum - 01
aufgebracht.«
Yr betrachtete die Edle für einen Moment und winkte dann Jack heran. Faraday verkrampfte sich noch mehr. »Mir ist ja klar, daß Ihr Euch der Prophezeiung verpflichtet habt. Doch, das verstehe ich wirklich. Und ich sehe auch ein, daß ich in dieser Weissagung eine bestimmte Rolle zu spielen habe …« Sie schwieg kurz, doch keiner der beiden schien ihr entgegenkommen zu wollen. »Aber warum brauchen die Bäume jetzt auch noch einen Freund? Und ausgerechnet mich?«
»Die Bäume und ihr Volk benötigen jemanden, der für sie sprechen kann. Und dazu haben sie Euch auserkoren, Faraday. Jemand muß die Bäume auf Axis’ Seite führen, denn erst wenn er Tencendor wieder vereint hat, vermag er zu siegen. Ohne die Bäume kann Axis gleich aufgeben.«
»Veremund hat mir aber versichert, meine zweite Aufgabe werde nicht so unangenehm ausfallen wie die erste. Wie hat er das gemeint?«
»Ihr werdet die Bäume noch lieben lernen, mehr als Euch selbst«, entgegnete Yr und fragte sich, wieviel sie noch verraten sollte. Die Aufgabe des Baumfreunds umfaßte viel mehr, als nur die Wälder auf Axis’ Seite zu führen. Aber das sollte Faraday nicht von den Wächtern erfahren. »Die Bäume haben Euch aus einem bestimmten Grund erwählt. Und der wird Euch nur Freude, aber keine Trauer bringen. Das dürft Ihr mir ruhig glauben.«
Die Edle schaute bekümmert drein. »Ihr Lied klang so traurig«, erinnerte sie sich an die Begegnung im Wald. »Und dabei war es doch so schön.«
»Weil man sie überall im Reich gefällt und erschlagen hat, liebes Kind. Nur wenige wurden von dem Gemetzel verschont. Ach, meine liebe Fürstentochter«, fügte Jack hinzu, um das Thema zu wechseln, »morgen führen wir Euch zum Farnbruchsee. Aber versteht bitte, daß Timozel uns unter gar keinen Umständen dorthin begleiten darf. Immerhin gehört er zu den Axtschwingern und brächte sich am See in größte Gefahr.«
Faraday erschrak, und Yr versicherte ihr sogleich: »Wir werden ihn deswegen ein wenig verzaubern. Er wird tief und fest schlafen und so nichts von unserem Ausflug zum See mitbekommen. Vertraut uns.«
Das Mädchen seufzte. »Ich wünschte, ich hätte Skarabost niemals verlassen«, murmelte sie und wandte sich ab.
28 Am Farnbruchsee
Einige Stunden vor der Morgendämmerung erhob sich Yr von Timozels Seite und sah sich um. Jack wartete schon ein paar Schritte weiter mit seinem Hirtenstab in der Hand. Die glühenden Blicke der beiden Wächter trafen sich, aber sie sprachen kein Wort. Die Katzenfrau schaute noch einmal nach dem Jüngling. Der schlief tief und fest, und an seinem Schlummer erkannte man deutlich, wie jung er noch war. Yr legte vorsichtig eine Hand auf sein Gesicht. Zwei Finger berührten seine Schläfen, der Daumen sein Kinn. Blaues Licht blitzte leicht an Yrs Fingerspitzen auf. Sie warf dem Schweinehirten einen kurzen Blick zu, und schon trat er zu ihr und legte den Knauf seines Stabs auf Yrs Handrücken, solange sie das Gesicht Timozels berührte. Das blaue Licht verstärkte sich um das Zwanzigfache, und beide Wächter blinzelten in der plötzlichen Helligkeit. Die Katzenfrau war ganz Konzentration, und Jack murmelte einige Beschwörungen.
Faraday beobachtete beiden aus sicherem Abstand. Der arme Timozel fand sich mitten in einem Abenteuer wieder, das er nicht gesucht hatte. Ohne es gewollt zu haben und ohne etwas davon zu ahnen, wurde er Opfer von Zauberkräften, die er eigentlich zutiefst verabscheute und aus ganzem Herzen fürchtete. Faraday wußte vor Aufregung nicht, wohin mit den Händen; sie fürchtete den Tag, der vor ihr lag. Warum hatte die Prophezeiung ausgerechnet in ihr Leben und das von Axis treten müssen?
Weil es mit Euch beiden eben eine besondere Bewandtnis hat, antwortete eine Stimme in ihrem Kopf, und sie entdeckte, daß Jack sie ansah. War er wirklich in ihre Gedanken eingedrungen?
Timozels Atem wurde langsamer, bis er nur noch einmal in der Minute Luft holte. Yr richtete sich auf, streifte sich den groben Bauernkittel über den Kopf und band ihn um die Hüften mit der Schnur zusammen, während sie gleichzeitig in die Stiefel stieg. Schließlich steckte sie sich das Haar zu einem Knoten zusammen.
»Was habt Ihr mit ihm angestellt?« wollte Faraday wissen, die es vor lauter Neugier nicht mehr ausgehalten hatte und zu den Wächtern getreten war.
Die Katzenfrau warf ihr einen Blick zu. Das Mädchen wirkte im Licht des ersterbenden Lagerfeuers blaß und zerbrechlich. »Mit Hilfe von Jacks Stab
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