Unter dem Weltenbaum - 01
hielten sich in seiner Nähe auf.
Wie hatte er das nur vergessen können?
Der Krieger holte tief Luft und klammerte sich an den Gedanken, nicht allein zu sein. Allmählich fand er die Fassung zurück. Furcht. War das alles, was der Zerstörer ihm in den Weg zu legen vermochte? Getuschel in einer Wolke? Furcht, pah!
Aber Ogden hatte recht. Furcht konnte durchaus töten. Wenn man ihr gestattete, die Macht zu übernehmen und alle Vernunft zu besiegen, konnte durchaus der Wunsch entstehen, nicht mehr leben zu wollen.
Und sicher durchlitt jeder einzelne Axtschwinger hier draußen gerade seinen ganz persönlichen Alptraum und wurde wie der Befehlshaber von größter Furcht verschlungen.
Der Krieger lachte laut, auch wenn ihm das am Anfang nicht ganz leicht fiel, griff nach unten, bis er die Zeltplane gefunden hatte, und riß sie weg. Das rauhe Material in seiner Hand verlieh ihm zusätzlichen Mut. Als dann mächtige Kiefer unmittelbar neben seinem Ohr zuschnappten, konnte ihn das kaum noch beeindrucken.
»Belial? Belial, mein Freund?« Axis zwang sich, guter Dinge zu sein und dies auch zu zeigen. »Was liegt Ihr da auf dem Bauch, während Euch ungeahnte Abenteuer erwarten? Erhebt Euch, alter Kampfgefährte, und verschafft mir in diesem verwünschten Dunst etwas Gesellschaft!«
»Axis?«
Der Krieger zuckte zusammen, als er die Furcht vernahm, die im Tonfall seines Freundes mitschwang. Wenn Belial sich seinen Ängsten schon so sehr ergeben hatte, wie mochte es dann erst den einfachen Soldaten ergehen?
Er zog Belial an der Hand. »Hoch mit Euch! Uns erwartet eine Nacht voller Freude und Gesang!« Axis zog seinen Leutnant vom Boden und erschrak über dessen bleiches Gesicht.
»Freude und Gesang«, wiederholte der Krieger langsam und wußte dann, was zu tun war. »Belial, erwacht aus Eurer Trägheit!« Er schnippte mit den Fingern und bewegte sich mit wiegenden Schritten.
»Axis? Was ist mit Euch? Wollt Ihr etwa tanzen?« Die Stimme klang so angespannt wie die des Kriegers noch vor einer Minute. Aber zumindest schien er wieder zu sich selbst zu finden.
»Ja, laßt uns tanzen, mein Freund. Aber dafür brauchen wir Tanzpartner. Auf! Weckt die Männer, und dann feiern wir ein Gelage, wie Gorgrael es noch nie erlebt hat!«
Hoffentlich sinkt Euer Mut nicht wieder, dachte Axis, als er Belial durch die Wolke stolpern sah. Bitte, laßt nicht nach!
Der Krieger hockte sich auf den Boden und griff in das Bündel mit der Harfe, das er an seiner rechten Seite spürte. »Aha, da bist du ja. Nun, Zerstörer, kennst du vielleicht ein hübsches Liedchen?«
Er schlug die Saiten an und fing an zu singen. Mit klarer, lauter Stimme, die durch Nebel und Geflüster drang.
Belle, meine Frau, die ist mächtig schlau, Behält fast immer die Ruh’:
›Los, Mann‹, sagt sie, ›zieh den Mantel an, Und kümmre dich um die Kuh!‹
Veremund und Ogden, die bei den Pferden standen, sahen sich verblüfft an. Die Wolke hatte natürlich auch sie befallen, aber nicht so schlimm wie die Soldaten.
»Ich dachte, er hätte eher etwas anderes gesungen«, meinte der Dicke, aber Veremund unterbrach ihn sofort.
»Nein, nein, dieses Lied ist genau das richtige. Das, was du meinst, hätte den Axtschwingern zu fremd in den Ohren geklungen. Aber von dieser Weise kennen sie Melodie und Text. Da können sie mitmachen.«
»Ja, richtig!« lachte Ogden. »In dieses Lied können alle einstimmen.«
Kuh Spuckbacke ist ein braves Tier, Wir melken sie alle Tage.
Auch Butter und Käse verdanken wir ihr, Und sie findet’s nie eine Plage.
Einer nach dem anderen erwachten die Axtschwinger in ihren Mulden. Viele hatten sich bereits wie Axis am Rand des Wahnsinns befunden, und manche hatten diese Grenze sogar schon überschritten.
Jeder Soldat hatte ganz allein seinen Ängsten gegenübergestanden, den Ängsten und dem Geflüster, dem Krallenscharren und dem Schwingenschlagen. Der Dunst, von gespenstischem Blau und Silber und so feucht und kalt wie eine fünf Tage alte Leiche, war ihnen unter Kettenhemd und Mantel gekrochen und hatte sich sogar zwischen die fest geschlossenen Lider gezwängt.
Es war’ mir arg, müsst’ sie jetzt leiden. Drum geh endlich, Mann, und tu deine Pflicht! Folg dem Weg des Pflugs, hinaus zu den Weiden Und vergiss mir den warmen Mantel nicht!
Die Männer hielten sich an Axis’ Stimme fest wie an einer Hand, die sie aus stürmischer See ziehen wollte. »Die Belle, mein Weib … den Streit nicht liebt …« Sie hörten, wie andere den
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