Unter dem Weltenbaum - 01
ihre Mutter wohl zu einem solchen Aufzug gesagt hätte, und schon stiegen ihr Tränen in die Augen, die sie aber rasch wegblinzelte. Das Kind fest im Arm, folgte Faraday ihrem Führer zum Wasser.
Am Ufer blieb Ramu erneut stehen und wandte sich um. »Vergeßt nicht, kein Wort, ehe ich Euch nicht dazu auffordere. Und nun setzt Schra ab. Von jetzt an muß sie auf den eigenen Füßen stehen.«
Während sie die Kleine auf den Boden stellte, bückte sich der Priester und hob etwas von einem großen flachen Stein zu seinen Füßen auf. Verblüfft stellte Faraday fest, daß er jetzt einen großen Hasen in der einen und ein Steinmesser in der anderen Hand hielt. Wieder traf sie sein strenger Blick, und sie biß sich auf die Lippen, um keinen Laut von sich zu geben. Die langen Ohren zuckten, doch ansonsten lag der Hase vollkommen still in den Armen des Mannes.
»Danke«, flüsterte der Priester dem Tier leise zu, »danke für dein Opfer, das du um unseretwillen gibst. Heute nacht wirst du mit der Mutter vereint.« Ramu holte mit dem Messer aus und schlitzte dem Hasen mit einem Schnitt die Brust auf. Blut strömte aus der Wunde und glänzte matt im Mondlicht. Der Aware legte die Klinge wieder auf den Stein, tauchte die freie Hand in die Wunde und beugte sich über das kleine Mädchen.
»Mit diesem Blut, das Freund Hase freiwillig spendete, binde ich dich mit der Mutter. Versprichst du, ihr zu dienen, ihr zur Seite zu stehen und sie niemals zu hintergehen?«
»Das schwöre ich«, lispelte Schra. Die ersten Worte, die Faraday aus ihrem Mund zu hören bekam.
»Dann sollen deinen Füßen, Schra, die Wege des Heiligen Hains stets offenstehen«, fuhr der Priester leise fort. Er malte mit seinen blutigen Fingern sanft über Gesicht und Brust des Mädchens und hinterließ drei parallel verlaufende rote Linien. »Mit diesem Blut seid ihr verbunden.«
Ramu erhob sich nun und wandte sich an Faraday. »Mit diesem Blut, das Freund Hase freiwillig spendete, binde ich Euch mit der Mutter. Versprecht Ihr, ihr zu dienen, ihr zur Seite zu stehen und sie niemals zu hintergehen?«
Faraday dachte an ihr bisheriges achtzehnjähriges Leben, in dem sie Artor verehrt hatte und dem Seneschall treu ergeben gewesen war. Was tat sie eigentlich hier? Wie hatte sie überhaupt in eine solche Situation geraten können? Die Edle öffnete den Mund, um den Eid zu leisten, aber kein Wort wollte ihr aus der Kehle dringen. Für einen Moment stand sie nur hilflos keuchend da und fragte sich, ob sie nicht am besten davonrennen sollte, so schnell und so weit, wie sie nur konnte. Doch gerade als sie sich von Ramus strengem Blick abwenden wollte, erinnerte sie sich daran, was sie am Sternentor empfunden hatte. Wie ihr dort der Gedanke gekommen war, Artor sei – verglichen mit den tieferen Mysterien der Unaussprechlichen – vollkommen unbedeutend. Das Leben hatte viel mehr zu bieten als die Reichsreligion und war tausendmal schöner als alles, was der Seneschall mit seinem Weg des Pflugs verhieß.
»Das schwöre ich«, erklärte sie leise. Der Priester tauchte die Finger wieder in die Wunde, hielt sie an Faradays Gesicht und zog mit dem schon gerinnenden, klumpigen Blut drei Linien über ihre Stirn und ihr Gesicht. Der mittlere Streifen verlief genau über ihren Nasenrücken, den Mund und das Kinn, die beiden anderen über je eine Wange.
»Dann sollen auch Euren Füßen, Faraday, die Wege des Heiligen Hains stets offenstehen.« Nun zog er die Linien weiter über ihre Brust. Die mittlere wanderte über ihr Brustbein, die äußeren über ihre Brüste und Brustwarzen. »Mit diesem Blut seid Ihr verbunden.«
Die Edle schloß die Augen, versuchte vergeblich, nicht an das abstoßende fremde Blut auf ihrer Haut oder an das ekelerregende Gefühl zu denken, als der Lebenssaft in ihrer Vision auf sie gespritzt und über ihre Brüste gelaufen war. Als Faraday die Augen wieder öffnete, starrte der Priester sie immer noch durchdringend an. Aber ein mitfühlender Zug war in seinen Blick getreten. Die Edle erkannte, daß Ramu wußte, was das Blut in ihr ausgelöst hatte. Sie fühlte sich unerwartet stark und gut, so als versorge die Mutter ihre neue Tochter mit Stärke, Mut und Verstehen. Alle Zweifel und Ängste fielen von ihr ab.
Nun sprach der Priester sie an: »Faraday, würdet Ihr mir die Ehre erweisen und mir das Mal der Mutter auftragen?« Er hielt ihr den Hasen entgegen, wenn auch nicht fordernd.
Die Edle spürte inzwischen weder Furcht noch Kälte. Sie tauchte
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