Unter dem Weltenbaum - 01
Wochen hier in der Stadt und auch im Umland deutlich mehr Eheschließungen als gewöhnlich durchgeführt. Die Soldaten, die in den Norden abberufen werden, scheinen ihre hiesigen Angelegenheiten noch rasch regeln zu wollen.«
Axis’ Miene nahm einen grimmigen Zug an. »Werden der König und Bornheld uns um Unterstützung bitten?«
»Wenn sie es dort oben wirklich mit Unaussprechlichen zu tun haben … bleibt ihnen wohl gar nichts anderes übrig.« Jayme schwieg, so als liege ihm noch etwas auf dem Herzen. »Axis, ich bin außerordentlich froh, daß du so rasch nach Achar zurückkehren konntest. Mich plagt nämlich die große Sorge, daß wir dich und die Deinen in den kommenden Monaten bitter nötig haben werden.«
Der junge Mann sah den Älteren über den Tisch hinweg an. Nach einem kurzen Blickkontakt schauten beide zum Fenster hinaus. Anfangs hatte Axis nicht recht verstanden, warum der Bruderführer unbedingt hier mit ihm frühstücken wollte, während es am warmen Feuer doch viel behaglicher gewesen wäre. Doch als er jetzt hinausblickte, erkannte er, daß Jayme ihm damit zeigen wollte, welche Wetterbedingungen in Karlon herrschten. Man schrieb nicht den Totlaubmond, und für die schweren Schneewolken war es eigentlich noch acht Wochen zu früh.
6 In König Priams Beratungsgemach
Der König bestellte Jayme und den Axtherrn für den Vormittag in sein Beratungsgemach. Moryson begleitete die beiden dorthin – sowohl um seinem Freund und Vorgesetzten mit Rat und Tat beiseite zu stehen als auch um eine Ehreneskorte zu bilden und dem Seneschall mehr Gewicht zu verleihen.
Bei Priams Beratungskammer handelte es sich um eine der größten Räumlichkeiten des Palastes, die in ihren Ausmaßen nur noch vom Mondsaal übertroffen wurde. Schmale Fenster, die hoch in den Wänden eingelassen waren, sorgten für ausreichend Helligkeit. An ihnen hatte man die Standarten der neun Hauptprovinzen des Reiches angebracht, der einzige Schmuck dieses Zimmers. Den Raum beherrschte ein mächtiger runder Tisch, der nach der Sage aus der herausgesägten Scheibe einer gewaltigen Eiche gezimmert worden war, die vor vielen Jahrhunderten hier gestanden hatte, bevor man den Palast erbaute.
Schon als die drei eintraten, spürten sie die angespannte Stimmung unter den bereits Anwesenden. Fünf Männer saßen am Tisch: Priam, Bornheld, Graf Isend von Skarabost, Herzog Roland von Aldeni und Graf Jorge von Avonstal. Einige der Herren hatten ihre Stellvertreter und Berater mitgebracht, die hinter ihren Stühlen standen: Gautier bei Bornheld, Nevelon hinter Roland. Doch es fehlten die Bediensteten, was den Neuankömmlingen sonderbar vorkam. In der Regel war zumindest ein Schreiber anwesend, der die Beratungen und deren Ergebnisse festhielt. Auch hatte sich nicht der gesamte Kronrat hier versammelt, denn zu diesem zählten alle neun Fürsten der Hauptprovinzen nebst ihren Beratern. Jayme und Axis erkannten rasch, warum gerade diese Männer zu der Sitzung erschienen waren. Bornheld war nicht nur der Herzog von Ichtar, sondern auch oberster Kriegsherr des Reiches. Die Provinzen des gutaussehenden, aber stutzerhaften Graf Isend und des beleibten Herzogs Roland lagen unmittelbar unterhalb von Ichtar. Und den drahtigen und grauhaarigen Grafen Jorge hatte man wohl hinzugebeten, weil er als erfahrener und listenreicher Kriegsmann galt, der für jede Bedrohung die passende Strategie zu entwickeln vermochte. Bei dieser Versammlung handelte es sich ganz offensichtlich um einen Kriegsrat, an dem die wichtigsten Feldherren Achtars sowie die Provinzfürsten teilnahmen, die am ehesten von der Gefahr im Norden betroffen waren.
Isend und Roland wirkten erleichtert, als die Vertreter des Seneschalls eintrafen, so als habe man die letzten Minuten in verkrampftem Schweigen verbracht. Bornheld verzog beim Anblick Axis’ erwartungsgemäß gleich das Gesicht, und Jorge erweckte den Eindruck, als gehe ihm alles viel zu langsam vonstatten. Der König aber sah so fahl und mitgenommen aus, daß der Axtherr sich schon fragte, ob Priam in seinen Träumen auch von Dämonen geplagt werde.
Der Herrscher nickte den Seneschall-Vertretern zu und deutete auf zwei freie Stühle. Moryson stellte sich hinter den Bruderführer und hielt sich für den Augenblick bereit, da seine Dienste beansprucht würden.
Jayme nickte dem König zu. »Verzeiht, Priam, daß wir Euch warten ließen.« Als geistliches Oberhaupt des Reiches fühlte der Bruderführer sich dem Herrscher ebenbürtig und
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