Unter dem Weltenbaum - 01
Hände, und Axis betrachtete ihn besorgt. Als der König nach einer Weile wieder aufblickte, sah er noch furchtbarer aus als vorher. »Glaubt Ihr, daß es sich bei diesen Wesen um Unaussprechliche handelt?« fragte er den Bruderführer. »Haben wir mit ihrer Rückkehr zu rechnen?«
Axis hatte noch nie erlebt, daß sein Mentor um eine Antwort verlegen war, doch dieser Moment schien jetzt gekommen zu sein. »Zu meiner Schande muß ich gestehen, Priam, daß ich es nicht weiß. Soviel Zeit ist vergangen, wohl an die tausend Jahre, seit die Unaussprechlichen hinter die Grenzberge und in das Eisdachgebirge abgedrängt wurden. Viele der alten Berichte über sie sind verloren oder stehen uns nur noch in Form von Sagen zur Verfügung. Aber wenn Ihr unbedingt eine Antwort von mir hören wollt, so lautet diese: ja. In den Tiefen meiner Seele fürchte ich, daß wir es wieder mit den Unaussprechlichen zu tun haben. Wer sonst könnte so unerwartet im Norden auftauchen?«
»Ganz Achar und erst recht Ichtar schwebt in höchster Gefahr, und Ihr sitzt nur da und jammert: ›Tut mir leid, aber das ist schon so lange her!‹« höhnte Bornheld. »Ihr könnt Euch nicht erinnern!« Der Herzog erhob sich und beugte sich drohend über den Tisch zum Bruderführer hinüber. »Dann verratet mir doch, von welchem Nutzen Ihr für uns seid, während meine Soldaten oben im Schnee verbluten! Glaubt Ihr etwa, die Unaussprechlichen ließen sich mit dahingemurmelten Plattheiten aufhalten? Daß sie womöglich vergäßen, worauf sie eigentlich Jagd machen?«
Jayme zuckte zusammen, winkte Axis aber zurück, als der ebenfalls aufspringen wollte. »Ich fühle mich angesichts dieser Lage genauso hilflos wie Ihr, und ich kann Euch bei allem, was recht ist, versichern, daß der Seneschall alles in seiner Macht Stehende unternehmen wird, um Euch beizustehen.«
Selbst Axis, der sich dies angesichts von Bornhelds Haß nur schwer eingestand, empfand die Versicherung des Bruderführers als wenig überzeugend und unzureichend. Moryson regte sich hinter dem Stuhl seines Herrn, als wolle er vortreten und etwas zu dessen Gunsten vorbringen. Doch der Herzog starrte ihn so finster an, daß er es lieber bleiben ließ.
Der König hob eine Hand. »Leider muß ich Euch noch mehr mitteilen, und ich kann nicht umhin zu gestehen, daß mir lange der rechte Mut fehlte, diese Worte auszusprechen.«
Wie auf einen Befehl hin fuhren alle Köpfe zu ihm herum.
Priam blickte stur geradeaus, um ja niemandem in die Augen schauen zu müssen, und in diesem Moment sah er aus wie ein uralter Mann. »In den frühen Morgenstunden erreichte mich eine Geheimnachricht von der Feste Gorken. Ein Trägervogel brachte sie mir.« Nun sah der König den Fürsten Ichtars an, der verblüfft wirkte. »Ja, ich weiß, Bornheld, gewöhnlich bekämt Ihr solche Nachrichten, aber der Inhalt dieser Botschaft ist so grauenhaft, daß man sie lieber gleich an mich richtete.« Der Herrscher schwieg für einen Moment, und alle Farbe wich ihm aus dem Gesicht.
Roland und Jorge sahen sich an. Grauenhafte Nachrichten, vor einem halben Tag empfangen? Warum hatte der König dann so lange damit gewartet, den Kriegsrat zusammenzurufen?
»Meine Freunde«, fuhr Priam fort, und allen Anwesenden wurde bang ums Herz, denn so hatte der König sie noch nie angeredet. »Vor vier Nächten erlitten die Stadt und die Zuflucht Gorken verheerende Angriffe von Wesen, wie man sie noch nie gesehen hat.«
Bornheld und Jayme hingen halb über dem Tisch, um nur ja die nächsten Worte nicht zu verpassen. »Fürst Magariz wurde in seinem Privatquartier angegriffen und schwer verwundet, konnte aber mit knapper Not entkommen. Seine Wächter hingegen hat man in Stücke gerissen.«
»Aber wie ist das möglich?« entfuhr es dem Herzog, und man merkte ihm an, daß er zwischen Wut und Verwirrung hin und her gerissen war. »Die Festung ist unüberwindlich! Wie konnte jemand den Fürsten in seinen Privaträumlichkeiten überfallen, ohne daß Alarm ausgelöst wurde?«
»Leider ist das noch nicht alles …«, flüsterte Priam kaum hörbar. Axis spürte, wie sich Eisfinger um sein Inneres schlossen.
»Allem Anschein nach handelte es sich bei dem Überfall auf Magariz nur um eine Finte. Um einen Scheinangriff, damit die Garnisonssoldaten abgelenkt würden. Zur gleichen Zeit hat nämlich eine viel stärkere feindliche Streitmacht die Zuflucht Gorken heimgesucht.«
Jayme stöhnte und umklammerte mit beiden Händen die Tischkante. Wenn die Wesen
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