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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglass Sara
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lächerlich!« entrüstete sich Gilbert und konnte nicht fassen, daß der Krieger diese alte Schrift für bare Münze nahm. »Axtherr, dieses Werk ist die reine Irrlehre! Ihr solltet solchen Worten nicht einmal Euer Ohr leihen!«
    Axis richtete die hellen blauen Augen auf den jungen Mönch: »Ich würde auch dem Gebrabbel einer pockenzerfressenen Hure lauschen, deren Hirn von den Krankheiten ihres Gewerbes zerstört wurde, wenn ihre Worte den kleinsten Sinn in dieses Rätsel brächten.« Damit wandte er sich wieder an die beiden Alten. »Brüder, ich verstehe, daß vor einem Zerstörer gewarnt wird, der für die Unruhen im Norden verantwortlich sein soll, aber der Rest bleibt mir verschlossen.«
    »Ich fürchte, Axtherr, daß Prophezeiungen gern in Gestalt von Rätseln überliefert werden. Wenn man die Antworten kennt, bereitet es einem keine Mühe, den Text zu deuten. Aber wenn man keinen Schlüssel dazu besitzt, dürfte man vor einer unmöglichen Aufgabe stehen.« Und vor einer gefährlichen, fügte er in Gedanken hinzu, denn zu leicht konnte man auf Fehlinterpretationen verfallen.
    Timozel saß schon die ganze Zeit mit gerunzelter Stirn da und beugte sich jetzt vor. »Aber spricht die Prophezeiung nicht von einem Mann, der den Zerstörer aufzuhalten vermag? Von einem Sternenmann?«
    »›Der Kinder zwei, verbunden mit ihrem Blut‹«, zitierte Veremund nachdenklich. »Vermutlich handelt es sich bei den beiden um Brüder.«
    Gilbert lachte laut, weil er einen solchen Unfug noch nie gehört hatte. Dann starrte er die beiden älteren Mönche voller Zorn und Tadel an: »Oho! Jetzt wollt Ihr uns also nicht nur weismachen, daß wir es mit einem mystischen Zerstörer zu tun haben, einer Sagengestalt der Unaussprechlichen, sondern daß wir unsere Hoffnung auf Rettung auch noch auf seinen Bruder setzen sollen! Wenn der Zerstörer von Flügel und Horn geboren wurde, dann gehört er zu den Unaussprechlichen. Und damit hätten wir auch in seinem Bruder einen der Ihren vor uns. Meine Freunde, ich befürchte, Ihr habt zuviel Zeit in der Abgeschiedenheit verbracht. Der Seneschall wird den Unaussprechlichen die Rückkehr nach Achar nicht gestatten. Niemals!«
    Veremund stand auf und räumte den Tisch ab. Während er sich von einem zum anderen bewegte, legte er Arne und Timozel eine Hand auf die Schulter. Die beiden jungen Soldaten hatten für diesen Abend genug gehört. »Meine Freunde, nach einer so anstrengenden Reise seid Ihr sicher müde. Der Abend ist weit fortgeschritten, und wir alle sollten das Gehörte überschlafen. Am Morgen sehen wir die Sache sicher in einem ganz anderen Licht.«
    Timozel gähnte ausgiebig, und Arne tat es ihm kurz danach gleich. Beide Offiziere streckten sich. »Folgt mir.« Veremund legte Axis eine Hand auf den Arm und strich Gilbert im Vorübergehen sachte über den Rücken. »Ich werde Euch in einem der oberen Stockwerke ein Schlaflager herrichten. Morgen erwartet uns ein neuer Tag.«
    Der Krieger spürte plötzlich die Müdigkeit wie eine große Welle über sich hereinbrechen. Er konnte schon keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen. Veremunds Vorschlag klang vernünftig: Sie sollten sich zur Ruhe begeben.
    »Ich hielte es aber für gescheiter, wenn wir …«, begann Gilbert, ehe sich sein Brustkorb zu einem gewaltigen Gähnen hob. »Aber Ihr habt sicher recht, Bruder Veremund«, beendete er seinen Satz matt, »ich fühle mich doch ein wenig müde.«
    »Dann kommt mit mir«, lächelte der Alte, »und erlaubt mir, Euch zu Euren Betten zu führen.«
    Eine Viertelstunde später schliefen die vier bereits tief und fest in der kleinen Kammer, die Veremund ihnen zugewiesen hatte. Sie hatten sich nur die Reisekleidung und die Stiefel ausgezogen und waren dann gleich in die Federn gekrochen. Der alte Mönch wartete so lange an der Tür, bis das langsame, gleichmäßige Atmen der Männer ihn davon überzeugte, daß sie eingeschlafen waren. Dann stieg er in Gedanken versunken die Treppe hinunter.
    Ogden saß immer noch im Schein des verglimmenden Feuers am Tisch, und seine Hand ruhte fast zärtlich auf der Buchseite, auf der die Prophezeiung des Zerstörers niedergeschrieben stand. »Nun, Bruder«, meinte er dann, als der Hagere sich langsam neben ihm niederließ, »haben wir lange genug gewartet?«
    Veremund atmete tief durch und richtete den Blick auf die rotglühenden Scheite im Kamin. »Seit nunmehr tausend Jahren konnte kein Acharite diesen Text lesen.« Er hob den Kopf und sah seinen Mitbruder an.

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