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Unter dem Weltenbaum - 01

Unter dem Weltenbaum - 01

Titel: Unter dem Weltenbaum - 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglass Sara
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»Nur jemand, in dessen Adern ikarianisches Blut fließt, vermag diese Zeichen zu entschlüsseln.« Er hatte Bruder Gilbert vorhin nur die halbe Wahrheit gesagt, als dieser ihn nach der Sprache der Unaussprechlichen fragte. Obwohl allen drei Völkern die gleiche Sprache zu eigen war, hatten die Ikarier eine Geheimsprache entwickelt, die jedoch nur bei den heiligsten und wichtigsten Gelegenheiten benutzt wurde. Die Prophezeiung des Zerstörers war in dieser Geheimsprache verfaßt worden.
    »Und mehr noch: Dieser muß von der Zaubererlinie der Ikarier abstammen. Die letzte Strophe ist mit starken Zaubern geschützt. Selbst wir haben sie eben zum ersten Mal vernehmen dürfen.«
    Die beiden schwiegen und sahen sich an.
    »Unsere Aufgabe besteht darin, auf alles Ungewöhnliche zu achten«, flüsterte der kleine Dicke dann.
    »Und auf der Hut zu sein«, fügte der Hagere hinzu.
    Doch weder der eine noch der andere wagte den Gedanken auszusprechen, der beiden durch den Kopf geschossen war, als Axis die Zeilen der letzten Strophe vorgetragen hatte. Diese Worte waren nämlich nur an einen einzigen Menschen gerichtet. Seit dem Moment, da die Tinte auf der Seite getrocknet und die Schutzbanne über den Text gesprochen waren, hatte niemand mehr diese Worte gelesen. Doch nun war die Prophezeiung des Zerstörers eingetroffen und befiel das uralte Land Achar. Und wenn man sich den Axtherrn ansah, mußte man davon ausgehen, daß die Mächte des Zerstörers bereits vor gut dreißig Jahren aus dem Norden gekommen waren.

15 Die Nacht der Schweigenden Frau
    Faraday lag schlaflos auf ihrem Lager und lauschte dem leisen Schnarchen der Mutter. Schwer lastete die Nacht auf ihr; sie fühlte sich bedrückt und wie gefangen in dem kleinen Zelt. Sie drehte sich auf die andere Seite, schloß die Augen und versuchte einzuschlafen. Doch schon nach zehn Minuten drehte sie sich mit offenen Augen wieder herum.
    Seufzend richtete sie sich auf. Am ehesten würde ihr jetzt frische Luft helfen. Leise, um die Mutter nicht zu wecken, schlug sie die Decke zurück und suchte in der Dunkelheit nach ihren Schuhen. Kalte Luft umfing sie, und kaum stand sie auf den Beinen, griff sie nach dem schweren Umhang, warf ihn über das Nachthemd und schlüpfte durch die Zeltöffnung nach draußen. Dort zog sie sich die Kapuze übers Gesicht. Sie hatte nicht vor, unnötige Aufmerksamkeit zu erregen.
    Ihr Zelt stand mitten im Lager. Um sie herum lagen unzählige schlafende Gestalten zusammengerollt am Boden. Faraday mußte lächeln. Unter welch anderen Umständen hätte ihre Mutter sich wohl bereitgefunden, inmitten so vieler Männer zu nächtigen? Vorsichtig schlich Faraday durch das Lager. Wolken jagten über den Nachthimmel, und dazwischen brach soviel Mondlicht hervor, daß sie sah, wohin sie trat.
    Am Rand des Lagers blieb Faraday stehen. Sie hatte eigentlich damit gerechnet, unterwegs von einem der Wächter angerufen zu werden. Aber ringsum herrschte Stille. Unschlüssig, ob sie in ihr Zelt zurückgehen oder noch etwas weiter spazieren sollte, stand sie da, als ihr plötzlich nur wenige Schritte entfernt etwas Weißes im Gras auffiel.
    »Mieze?« flüsterte sie. »Pss, pss, pss.«
    Faraday hatte Axis’ Katze den ganzen Tag noch nicht zu Gesicht bekommen. Vielleicht fände sie ja endlich Schlaf, wenn sie das flauschig warme Tier mit zu sich ins Zelt nahm. Sie bückte sich, um die Katze hochzuheben. Doch kaum berührten ihre Finger den weichen Rücken, da sprang die Katze auf und lief davon.
    »Verflixt!« murrte das Mädchen ungehalten und lief hinter dem Tier her; aber wieder hüpfte die Katze davon. Das Spiel wiederholte sich mehrere Male, und für Faraday war es bald eine Frage der persönlichen Ehre, das Tier einzufangen. Irgendwann hielt sie erschrocken inne und sah sich ängstlich um. Aber dann entdeckte sie in nicht allzu großer Ferne die heruntergebrannten Lagerfeuer. So weit hatte sie sich also noch nicht entfernt. Die Katze schnurrte und strich ihr um die Beine. Faraday bückte sich und konnte sie nun einfach hochheben.
    Doch als das Mädchen zum Lager zurückkehren wollte, tauchten aus dem Dunkel der Nacht plötzlich Gestalten auf. Faraday kreischte vor Entsetzen und preßte das Tier an die Brust, als wolle sie es zerdrücken. Die Katze ließ sich das nicht gefallen und versuchte, sich aus ihren Armen zu winden. Ohne darauf zu achten, wollte das Mädchen losrennen, stolperte aber über den Saum seines Umhangs, schlug der Länge nach ins Gras und

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