Unter dem Weltenbaum - 01
den Ereignissen erfährt.« Seine Stimme klang entschlossen. »Und mich erwartet auch noch die Aufgabe, der Herrin von Tare einen Brief zu schreiben und ihr darin mitzuteilen, daß ihr geliebter ältester Sohn unter Fels und Geröll begraben liegt. Könnte ich es ihr doch von Angesicht zu Angesicht sagen, statt die Nachricht einem Boten anvertrauen zu müssen!«
23 Das Sternentor
»Wir befinden uns hier im Grab des neunten von sechsundzwanzig ikarischen Krallenfürsten, den Königen, die hier begraben wurden«, erklärte Jack dem Jüngling.
Faraday und Timozel sahen sich um. Obwohl man dem Gewölbe anmerkte, daß es von erfahrenen Maurern errichtet worden war, wirkte die Anlage doch verblüffend schmucklos. Bis auf den Steintisch in der Mitte war der Raum völlig leer. Vier Steinwände, die Decke von Säulen gestützt und nirgendwo auch nur das Anzeichen einer Öffnung.
»Wie kommen wir denn hier wieder hinaus?« fragte das Mädchen.
Yr wandte sich an den Schweinehirten. »Jack, du weißt doch mehr über diesen Bau als wir alle. Kennst du dich mit dem unteren Weg aus?«
Der Mann trat an den Tisch und berührte ihn ehrfürchtig mit der Hand. »Man hat solche Grabhügel nur für sechsundzwanzig ikarische Krallenfürsten, die Könige von ganz Tencendor, errichtet. Die Krallen haben das alte Reich über fünftausend Jahre lang beherrscht, doch findet man in dieser Anlage nur die letzte Ruhestätte von gut zwei Dutzend von ihnen. Einunddreißig dieser Herrscher hat man weniger aufwendig beerdigt.«
Der Jüngling wollte etwas sagen, aber Jack hob die Hand. »Schweigt, junger Mann! Und hört mir zu. Wir haben hier also nur sechsundzwanzig Gräber vor uns, und damit nicht einmal die Hälfte der Könige. Doch bei diesen handelte es sich nicht nur um Herrscher, sie gehörten auch der Linie der Zauberer an. Diesen Hügeln wohnt also sehr viel Zauberkraft inne.«
»Zauberer?« entfuhr es Timozel. »Was soll das heißen?«
Der Wächter sah ihn geduldig an. »Daß wir es hier mit Ikariern zu tun haben, die sich auf Zaubersprüche verstanden haben.«
Der Jüngling riß die Augen weit auf, zog sich ein wenig von den Fremden zurück und hob die Hände zum Abwehrzauber des Pflugs gegen alles Böse. Wenn jemand von Magie und Zaubersprüchen sprach, war ihm dies in höchstem Maße unangenehm.
Faraday trat ebenfalls an den Steintisch. »Liegt der Fürst unter dieser Platte begraben?« fragte sie und wollte schon eine Hand darauf legen, besann sich aber rasch eines Besseren.
»Nein …«, antwortete Jack und versuchte sich zu erinnern. »Der Zaubererfürst wurde nach seinem Tod hier aufgebahrt, liegt aber schon lange nicht mehr da. Und wohin er gegangen ist, dorthin müssen auch wir.«
»Durch das Sternentor«, ergänzte die Katzenfrau. »Ich habe es noch nie gesehen, wünsche es mir aber sehr. Soviel ist mir darüber zu Ohren gekommen …«
Der Schweinehirt nickte. »Von allen Wächtern war es nur mir vergönnt, das Sternentor in Augenschein zu nehmen. Und seit tausend Jahren hat niemand mehr den Pfad der Sternenreisenden betreten, der zum Sternentor führt.«
»Warum nennt Ihr sie Sternenreisende, Jack?« wollte das Mädchen wissen.
»Weil die mächtigsten ikarischen Zaubererfürsten unter diesem Namen bekannt waren. Alle Zauberer dieses Volks tragen den Begriff ›Stern‹ in ihrem Namen. Zu Ehren der Gestirne und ihrer Bewegungen am Himmel. Es heißt auch, der Großteil ihrer Magie komme von den Sternen.«
Timozel hatte jetzt endgültig genug. »Schluß damit! Wohin wollt Ihr uns bringen? Und was hat es mit diesem Sternentor auf sich?«
Jack verbarg seinen Unwillen über diese Störung hinter einem sanften Lächeln. »Seine Geheimnisse brauchen Euch nicht zu kümmern, junger Mann. Wenn es einen anderen Weg gäbe, brächte ich Euch nicht durch das Sternentor. Aber alle Wege führen dorthin. Wenn wir also wieder an die Oberfläche gelangen wollen, bleibt uns nur das Tor.«
»Birgt dieser Weg denn Gefahren?« ängstigte sich das Mädchen.
Yr lachte. »Erst wenn man hindurchtritt, mein liebes Kind.« Nun warf sie einen kritischen Blick auf ihren Mitwächter. »Ich fürchte, Jack hat einige entscheidende Dinge ausgelassen. Bei diesen Hügeln handelt es sich um keine echten Gräber, denn es liegen keinesfalls die Leichname der Zaubererfürsten darin. Vielmehr stellen diese Anlagen Eingänge dar. Tore vor dem eigentlichen Tor, wenn man so will. Wann immer einer der sechsundzwanzig Zaubererfürsten gestorben war,
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