Unter dem Zwillingsstern
noch die Möglichkeit, daß ihr Agent jetzt, wo sie sich auf dem aufsteigenden Ast befand, nett zu ihr sein wollte. Doch i m Grunde wußte sie schon, wer sie geschic k t hatte, noch e h e sie d ie cre m efarbene Karte aus d em U m schlag hervorzog.
»Und ? « drängte Vil m a.
»Ein Hinweis der Direktion darauf, daß ich i m nächsten Rosenkriegs-Zyklus m itspielen werde«, entgegnete Carla und steckte die Karte wieder in den Umschlag. Ihre Kollegin glaubte ihr nicht, aber sie lachte und m achte einen Scherz über das Unwiderstehliche von Som m ernachtsträu m en, ehe sie damit begann, sich abzusch m inken. Carla tat es ihr nach. Die feuchten Tücher, die das starke Bühnen-Make-up e n tfernten, fühlten sich beruhigend auf ihrer Haut an. Rosen, wie in Mariannes Krankenzi mm e r. Ob er sich daran überhaupt noch erinnerte? Trotzdem, sie wuß t e nic h t, ob sie wütend oder gesch m eichelt war. Auf der Karte h a tte er außer s einem Namen ledi g lich eine Berli n er Adre s se, ein Datum i m näch s ten Monat und eine Telefonnum m er notiert. So eine S e lbstüberschätzung war wirklich ate m beraubend. Hieß das eigentlich, daß er heute abend nicht hier war? Nicht, daß es ihr etwas bedeutete, denn was v ers t a n d Ph ili pp schließlich schon vom Theater? Der Teufel sollte ihn holen. Energisch rieb sie sich den Rest der Sch m inke aus dem Gesicht und begann, normalen Lippenstift, Puder und W i m p e r ntusche für die Pre m i erenfeier aufzutragen.
In den nächsten Tagen waren Carla und Robert da m it beschäftigt, Kriti k en zu vergleiche n . Seine las e n sich, bis auf zwei, durchweg gut, was nicht im m er identisch m it »positiv« war. Aber eine Beschwerde darüber, daß er aus Shakespeares Stück einen Edgar-Wallace-Reißer ge m acht habe, war ebenso gut für die Kasse, wie das Enfant terrible des deutschen The a ters genannt zu werden. Sowohl die kommunistische Presse, wegen der Darstellung des Volks, als auch der Völkische Beobachter, wegen der faschistischen K ostü m i e rung, m eldeten lautstarke Einwände an und sprachen von Unverschä m t heit, doch das w ar zu erwarten gewesen. Nein, die einzige Rezension, die Robert wirklich zu schaffen m achte, stammte von Irene Graf, einer der wenigen Kri t ikerinnen, und stand ausgerechnet in der n icht nur für die T heaterwelt s o wichtigen Weltbühne:
»Was uns da präsentiert wurde, w a r bei all e r Unterhaltsamk e it und oberfl ä chlicher Aktualität im Kern hohl. Was will uns Herr König mit seiner zeitgenössischen Kostümierung wirklich sagen? Wenn die Inszenierung eine Warnung vor dem Faschismus sein soll, warum dann dessen selbstschmeichelnde Caesar-Analogie übernehmen? Wenn der mangelnde Realismus der Intellektuellen in Form von Brutus kritisiert werden soll, warum wi r d dann Brutus völlig unkritisch zum sentim e ntalen H e l d en des S t ücks? Soweit noch ein Stück übrig ist. Die Bühne ist ein Schlachtfeld zwischen Robert König und William Shakespeare. William Shakespeare ve r li e rt. Statt s e iner ti e fgründigen Charaktere sehen wir einen jovialen Intriganten (Cassius ) , einen ausdruckslosen R oboter (Caesar ) , der aus Capeks R.U.R.-Stück entkommen zu sein scheint, und einen widerlichen Demagogen im Goebbels-Stil (Antonius ) . Was Herrn Königs eigene Darstellung als Brutus angeht, er scheint zu glauben, seine zugegebenermaßen ausdrucksvolle Stimme um eine Oktave unter die Tonlage der übrigen Schauspieler zu senken sei ein solider Ersatz für eine schauspieleri s che Lei s tung und ve r mittle naive Heiligkeit. «
»Meine Herren«, kommentierte Hugo Merke ehrfürchtig und etwas schadenfro h , als Robert die s e Rezension la u t vorlas, u m seine Gleichgültigkeit zu demonstrieren, »die geht dir wirklich an die Eier, Robert.«
»Nun ja«, erwiderte Robert m it einer nicht ganz überzeugenden Nonchalan c e, » m an sollte zu m indest ein m al im Leben ric h tig geha ß t werden.«
»Bei all den ›atemberaubend‹ und ›mit dem Finger am Puls der Zeit‹ in den übrigen Kriti k en«, sa gt e Carla, d i e ihn durc hs chaute,
»kannst du es verkraften.« Aber als die anderen bereits aufbrachen, legte sie ihm eine Hand auf die S c hulter und flüsterte ihm ins Ohr:
»Ich werde einen Fluch über sie aussprechen.«
Ihre eigene Darstellung wurde befriedigenderweise in jeder Rezension des Sommernachtstraums erwähnt. Für den Kritiker, der sie »überspannt und m anieriert« nannte, empfand sie ähnliche Mordgelüste wie
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