Unter dem Zwillingsstern
ar m t zu werden, und etwas, das sie ausschließlich m it ihrer Stief m utter in Verbindung brachte, denn sonst u m a r m t e sie nie m and. Sie überließ sich dem Eindruck von wei c hem Fleisch und Parfüm, der so seltsam einsch m eichelnd und tröstlich war, und erwiderte die U m armung ungewohnt heftig.
»Ihr seid schon zwei ar m e W ürschtel, alle zwei«, sagte Anni kopfschüttelnd.
Fräulein Brod hatte an diesem Ab e nd schon wieder rotu m r änderte Augen, wie an jenem Tag, als sie von der Erschießung einer gewissen Rosa Luxe m burg erzählt hatte, aber die Aura von m ühs a m unterdrücktem Zorn fehlte; statt dess e n wirkte sie erschöpft und niedergeschlagen.
»Entschuldigung, daß ich Sie noch s t öre, Fräulein Brod«, sagte Carla in ih r em hö f lichsten Ton f all, »aber ich m öchte S i e etwas fragen.«
Drei ihrer F r eunde war e n tot, und K äthe Brod fühlte nur noch das Bedürfnis, sich in betäubte Resignation versinken zu lassen, um sich dem Sch m erz nicht m ehr stellen zu müssen. Nach dem ersten Todesfall war sie m it Constanze Hallgarten und einigen anderen zur Poliz e i gegangen, u m Anzeige zu er s tatten, aber m an hatte sie a u sgelac h t. Mittl e rweile wußte sie, wie über f lü s sig der W eg gewesen war. Der neue Polizeipräsident, E r nst Pöh n er, der im Mai nach der Niederschlagung der Räterepublik ernannt worden war, setzte sich für eine Freilassung des Eisner-Mörders ein und gab offen seine U nterstützung für ähnliche, »von Vaterlandsliebe m otivierte Taten« bekannt.
Sie hörte sich Carlas Fragen an und antwortete ausführlich m it einer kleinen biologis c hen Abhandlung. Zu m i nd e st lenkte es sie von den Gedanken an all die Toten ab. Außerdem e rinnerte sie sich nur zu gut an die Unwissenheit, in der s i e selbst au f gewachsen war; ihre Mutter hatte sie in dem Glauben gelassen, m an könne von ein e m Kuß schwanger werden. Auf keinen F a ll wollte s ie selb s t f ür dera r tige Ignoranz verantwortlich sein.
»Aber«, fragte das Mädchen lan g sam und m it gerunzelter Stirn,
»tut das nun weh oder nicht ? «
»Sofern sich der Akt in gegenseitigem Einverständnis vollzieht«, entgegnete Käthe Brod nüchtern, »soll er mehr Vergnügen als Sch m erz bereiten. Das ist die l ogische Schlußfolgerung aus dem U m stand, daß die Menschen sich sehr viel öfter paaren, als es zur Fortpflanzung der Art nötig wäre, anders als die Tiere m it ihren Brunftzeiten.«
Sie hoffte, d aß Carla i n zwischen über genug Takt verfügte, um sie nicht nach persönlichen Erfah r ungen zu fragen, und über genügend Verstand, diese Infor m ationen sachlich zu verarbeiten. Ihre S chülerin enttä u schte sie nicht.
»Ja, das ist logisch«, sagte Carla. »Aber warum führt nicht jede Paarung zur Fortpflanzung? Ich m eine, auch wenn die F r au nicht schon schwanger ist.«
»Das hängt m it d e m m o natlichen Zyklus zusam m en; ich w i ll hoffen, daß du dich daran erinnerst, ich habe ihn dir n ä m lich gerade vor fünf Minuten erklärt.«
»Ja, natürlich. Danke, Fräulein Brod.«
Die Versuchung, etwas länger m it dem Mädch e n zu sprechen, um die schwarze W i rklichkeit noch eine W eile fernzuhalten, war groß, aber das hätte bedeutet, einer Schwäche nachzugeben. Käthe entschloß sich, Carla ihren m ed i zinischen Atlas m itzugeben, der wohl alle weiteren Fra g en beantwo r ten würde; dann f i el ihr ein, daß ihre Er k lär u ngen wohl etwas ein s eitig wisse n s c ha f tlich a us ge f allen waren, und sie sagte, während sie nach dem Band suchte:
»Der körperliche Ausdruck der Liebe hat m ehrere unserer großen Dichter inspiriert. Du bist noch zu jung, um Sprache und Gedankenflug ange m e ssen begreifen und würdigen zu können, aber in ein paar Jahren könntest du Goethes Römische Elegien na chschla g en . «
Sie drückte Carla den A tlas in d i e Hand. Erst dann fo r m te sich in m itten der Betäubung die Erinneru n g daran, daß Kinder zum Prahlen m it ihrem W i ssen neigten und ihr Arbeitgeber m it seinen konservativen Ansichten es unpassend finden könnte, seiner Tochter überhaupt biologi s che Kenntnisse zu ver m itteln. Doch sie brachte an diesem Abend nicht m ehr genügend Energie auf, um sich um ihre Stellung Sorgen zu m achen. E i ne Entlassung würde am Ende sogar eine Wohltat sein und sie aus ihrem s t ändigen Gewissenskonflikt erlösen.
»Nun, es tut m i r leid, daß du zu deinen Großeltern zurückkehren möchtest«, s agte Hei n ri c
Weitere Kostenlose Bücher