Unter dem Zwillingsstern
zu Ihrer Marionette. Sie hatten nie die Absicht, Carla für m i ch zurückzuholen. Sie haben auf Zeit gespielt und geglaubt, das Dritte Reich ginge schnell vorü b er. Nun, inzwischen dürfte Ihnen klar sein, daß es s i ch bei der deutschen Er neuerung nicht um eine kurzfristige Ersch e inung handelt. Neue Spielregeln, Robert, und ich fürchte, Sie haben nichts m ehr in der Hand. Im Gegenteil. Ihr netter kleiner Bekann t enkreis aus Juden und Degenerierten m acht Sie verwundbar. W er sagt m i r eigentlich, daß Sie nicht genauso krankhaft veranlagt sind wie Ihre Freunde? Vielleicht sollte m an der Ge s ellschaft einen Gefallen tun und Sie anzeigen.«
Das Gefühl, auf einem Drahtseil zu balancieren, war nie stärker gewesen. Es half, den ganzen Abend über eine Vorstellung geliefert und ein dankbares Publikum vorgefunden zu haben; Robert stand unter der vibrierenden Spannung, die ihn auf der Bühne bei den Gelegenheiten überfiel, wenn er wirkli c h alles gab, und sie be w ahrte ihn vor dem G e fühl jäher Panik, kanalis i erte es in pures Adrenalin. E r lachte.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen kön n en, aber Sie werden keine SA-Männer in m einer dunklen Vergangenheit finden, fürchte ich. Zu dumm und zu gesch m a cklos.« Sie standen in der Bibliothek, und Robert lehnte sich gegen die W and voller Klassiker, spürte die Regale und einige der größeren Lederbä n de im Rücken, während er fortfuhr: » W as Carla angeht ob ich sie nun beschwöre zurückzuko mm en oder nicht, ist irrelevant. W as ich Ihnen da m als gesagt habe, stim m t i mmer noch: W e nn ich tot oder im Gef ä ngnis bin, kom m t sie überhaupt nicht m ehr zurück, und sie weiß jetzt, daß m ein Überleben zum Teil auch von Ihnen abhängt. Natürlich bin ich m ir im klaren darüber, daß Sie sich entsche i den könnten, Vergangenes vergangen sein zu lassen, was, nebenbei bemerkt, in der Regel eine gute Idee ist. Aber n i c ht f ür Sie.«
»Und warum nicht?« fr agte P h ilipp kalt. W i eder spü r te Robert in m itten des G e m i schs aus Abneigung und widerwilligem Respekt einen Funken Mitleid für den Mann.
» W eil es a u ßer Carla in Ihrem Leben nicht v iel Menschliches gibt. Ansonsten könnten Sie ein Automat sein. Der perfekte Geschäfts m ann, der perfekte Parteigenosse, d e r perfekte Bürger, und innerlich tot. Sie wollen neue Spielregeln? Schön. W issen Sie, warum Sie überhaupt hier stehen und m it m i r reden, statt Ihrer Frau schon i m Vorfeld befohlen zu h aben, m ich wieder au s zulade n ? Si e m ögen m ich nicht, aber es i s t ein m ensc h licher Haß, es liegt nicht daran, daß ich Ihnen ein Geschäft verdorben habe oder daß m ich die Partei a ls Feind einstuft. Sie streiten sich ausgesprochen gerne m it m i r, weil Sie sich dabei wie ein Mensch füh l en, und Sie befürchten, jetzt, wo Carla nic h t m ehr hier ist, würde dieser letzte Rest Seele in Ihnen ganz und gar absterben. Bitte, denu n zieren Sie m ich. Es stimmt, das bißchen Status und die paar and e ren Verbindungen, die ich habe, würden m i ch nicht schützen, wenn es hart auf hart ginge. Aber ich halte es für eine zie m lich schäbige Methode, um einen Streit zu gewinnen… und seelischen Selbst m ord zu begehen.«
Und ich glaube, Sie tun das auch, wollte er hinzufügen, unterließ es jedoch, seinem Gespür für Dra m atik und ange m essene Abschlüsse vertrauend. Er m einte, was er sagte, doch es entsprang keiner spontanen Augenblickseingebung; er hatte lange gen u g Zeit gehabt, über Philipp Bach m aier nachzugrübeln und sich jede Art von Strategie für dieses Ges p räch zu überlegen. Das S chweigen zwischen ihnen spann sich wie eine endloser Faden aus stum m en H e rausforderungen und möglichen Antworten. Endlich ging Philipp, ohne den Blick von Robert abzuwenden, zu dem Telefonapparat, der auf einem kleinen Sekretär stand.
» W ie lauten die Na m en Ihrer Bekannten, und wo befinden sie sich jet z t?«
» W alther B urle und Hans Egenrie d er. Egenrieder ist der m it dem SA-Mann. Sie erhielten eine W a r nung, also sind sie gar nicht erst nach Hause gegangen; zur Zeit k a m pieren sie in m einer W o hnung in Berlin«, erwiderte Robert und hüt e te sich, Triu m ph zu empfinden. Irgendwie war es zu l e icht, zu schnell gegangen; irgend etwas kam noch, ein Preis, den er b ezahlen m ußte.
Philipp wählte eine Nummer, sprach kurz m it je m and e m , der ihn offenbar an einen anderen weiterleitete, und war schließlich bei einem »Egon«
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