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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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glücklich zu sein, noch einen Mo m ent länger festhalten, also setzte sie ein schwaches Lächeln auf und fuhr fo r t: »Allerdings auch eine gute. Mein bester Freund und ich sind in einem langwierigen Streitpunkt endlich einer Meinung.«

TEIL VIER

      

     

22. KAPITEL
     
    Martin Gol d m ann f röst e lte, als er aus dem Gebäude des französischen Konsulats heraustrat, obwohl der April im Jahr 1937 ganz und gar nicht stür m i sch war. Schon seit Tagen herrschte das angeneh m ste Frühlingswetter, und überdies k am er gera d e a u s einem völlig über f üllten Geb ä ude. Es waren die Pla ka te, die ihn s chaudern li e ßen. Auf der Litfaßsäule dem Konsulat g e genüber wurde für den Sommer im Haus der D eutschen Kunst eine A usstellung angekündigt. Früher hatte er Ausstellungen ausgesprochen gerne besucht. Nach der Machtergreifung war d i e Alte Pin a kothek sogar sein regel m äßiger Zufluchtsort geworden. Er setzte sich gerne gegenüber von Dürers Selbstportrait, m it den Augen, die einem überallhin im Raum zu folgen schienen, bewunderte die unendlich fein gepinselten Haare in dem Pelz des Mantelkragens oder d e n Locken des Dargestellten und dachte, daß der für ewig festgehaltene Dürer des Jahres 1500 schon unendlich viel Gutes und Schlechtes in d er Ge sc hichte an sich hatte vorbeiziehen sehen. Ein anderes L ieblingsbild gehörte nicht zu den bekannteren Stücken der Pinakothek; Claude Lorrains Ge m älde über den Abschied von Abraham und H a gar gefiel i h m, weil die gezei g te Landschaft so friedlich war, unendlich beruhigend auf eine das Auge erfreuende Weise. Es ließ einen an eigene Ausflüge denken, verschaffte einem das Gefühl, m it sich und der Welt im reinen zu sein. Erst nach und nach wurde ihm bewußt, was er verdrängte: das Bild zeigte nicht einen Fa m ilienvater, der Frau und Kind zu einem Picknick ins Grüne schickte, sondern einen Mann, der seine Geliebte und ihren Sohn in die W üste sandte, weil seine Ehefrau es so wollte. Es gehörte nicht zu seinen Gewohnheiten, über biblische G eschichten nachzuden k en, aber als ihm diese wieder einfiel, ersc h i en ihm das Bild, das ihm soviel Freude bereit e t hatte, als ei n e Monstr o sität. W as hatte Lorrain sich dabei gedacht, d i eser fürchterlichen Sze n e so viel friedliche H ar m onie zu verleih e n? Ins Exil und den sicheren Tod geschic k t zu werden durfte nic h t z u r Idylle v erfälsc h t werden. Ein ander e r, la n ge verg e ss e ner Bibelsatz kam ihm i n den Sinn: Das Blut auf der Erde schreit zu mir: Wo ist dein Bruder A bel?
    Danach hatte er Lorrai n s Ge m älde ge m i eden. Vielleicht verstörte es ihn so, weil er sich darüber klar war, etwas Ähnliches wie Lorrain zu tun. Er m alte sich eine entsetzliche Situation in trügerischen Farben. Nicht, daß ihm noch lange die Gelegenheit dazu geboten wurde. Im Herbst 1935 traten die Nürnber g er Rassegesetze in Kraft, und er verlor seinen Status als Bürger des Deutschen Reiches. W i e alle Juden m ußte er ei n en neu e n m ittleren Na m en anneh m en. Sein Paß bezeichnete ihn nun als Martin Israel Gold m ann. Die Schilder m it der Aufschr i ft Juden Unerwünscht an Geschäften nahm er kaum m ehr wahr; es hatte aufgehört, weh zu tun. Daß nun auch Museen solche Schilder aufstellten, genau wie die Theater, Opern und Konzertsäle, tat jedoch nicht nur weh, es war e i n Gefühl langsa m en Erstickens. Seine Praxis hatte e r au c h verlo r en. Die Stim m e seines a lten Freundes, der ihn inzwisc h en nicht m ehr grüßte, wenn sie sich auf der Straße begegneten, klang ihm i m m e r noch in den Ohren. »Schau m al, alter Junge, es geht einfach nicht m ehr so weiter. Alles, was e s braucht, ist eine Anzeige, daß du h i er auch Arier anfaßt, u nd m eine Praxis ist zerstört.«
    Seine Praxis. Selbst für einen Optim i sten wie Dr. Gold m ann gab es Grenzen. K urz nach d i esem Gespräch hatte er zum ersten Mal ern s thaft ins Auge gefaßt, das Land zu verlassen. E s fiel schwer, seine Hei m atliebe zu bewahr e n, wenn die Hei m at alle s , was liebe n swert an ihr war, freiwillig von sich warf und Stück für Stück durch Un m enschlichkeit ersetzte. Als er da n n bei einem Spazier g a n g einer Frau begegnet war, die ein Schild um den Hals trug, auf dem stand
    »Ich bin am Ort das größte Schwein und lasse mich mit Juden ein«,
    einer Frau, der nie m and half, die im Gegenteil nur abgewandte Blicke und einige höhnische Zurufe erntete, war sein Entschluß

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