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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hatte, und daran, wie er danach tagelang bei jeder Gelegenheit m it ihr gestritten hatte, ga n z besonders wegen Philipp. Nun wußte sie, wie er sich gefühlt hatte. Keine sehr angeneh m e E m pfindung. Du hast wohl geglaubt, sagte eine innere Stim m e, die verdächtig wie Robert klang, dir passiert so etwas nie? Selbst wir sind nicht im m er unw i derstehlich.
    Sie hatte seinen Brief n och nic h t g elesen, weil sie dazu Z eit u n d Ruhe haben wollte, ab e r an diesem Abend erschien er i h r auch so sehr gegenwärtig. In gewissem S i nn war sie allerdings froh, daß er nicht zu den Gästen gehörte, denn er hätte ihre Vorstellung der gutgelaunten Gastgeberin durchschaut, und sie wollte wirklich, daß jeder sich wohl fühlte. Jeder der Anwesenden hatte ihr auf die eine oder andere Art geholfen, m it Ausna h m e von Boris Karloffs Ehefrau Evelyn, die sie noch nicht kannte. Vor allem hatten sie es ihr er m öglicht, die liebenswerten Seiten d i eses Landes zu entdecken.
    Die m eisten saßen schon, und Karloff neckte sie gerade wegen ihres fälligen Gewerkschaftsbeitrags, als es noch m als läutete. Tod Brown, der K a m era m ann von Rappaccinis Tochter, konnte sein Erscheinen selbstverständlich erst für die Zeit nach dem Ende der Dreharbeiten zusagen, und es war sogar noch etwas früh für ihn. Vielleicht h andelte es sich um Fra n ces, die e n tschieden h atte, sich so von den Grübeleien über ihren Ex m a nn abzulenken; sie hatte gehofft, Frances neben Lugosi setzen zu k ö nnen. Carla öffnete die Tür, einen Scherz über lange Arbeitstage auf den Lippen, und erstarrte.
    »Ich hatte mein Geschenk verge s sen«, sagte Nancy, die in dem hellen, blaßgelben Kleid, das sie trug, selbst wie ein letztes Geschenk der abendlichen Sonne aussah. Sie hielt die Hände hinter dem Rücken wie ein Kind, aber in dem p r üfenden Blick, m it d e m sie Carla betrachtete, lag nichts Kindliches.
    Zusammenhanglos erwiderte Carla, weil es ihr aus irgen d einem Grund als erstes einfiel: »Du hast recht m it m einen Haaren. Ich lasse sie wachsen, m indes t ens ein Jahr lang.«
    Nancy lächelte. »Gut.«
    Dann holte sie hervor, was sie hinter ihrem Rücken verborgen hatte: einen Lampenschirm aus Pa p i er, ver z ie r t m it z a rten ja p anisch e n Tuschezeic h nungen. Er drehte sich ein wenig, während sie ihn in den Händen hielt, und Carla erkannte, d a ß es sich um ein durchgehendes Erzähl m otiv handelte: ein Boot, d a s eine Rei s e antrat, eine Rei s e über das Meer hinweg in ein unbekanntes Land.
    Ihre Stim m e klang etwas belegt, als sie sprach. »Nancy, er ist wunderschön.«
    »Ich dachte an… Suchende, die u n terwegs sind, und ein Licht, das ihnen den Weg weist.«
    Die Zweifel waren verflogen. Sie wußte nun, was sie tun würde. Es war ihr s p äter ein Rätsel, wie sie den Rest des Abends hinter sich brachte, ohne jeder m ann spüren zu lassen, was sie e m pfand. Als auch der letzte Gast verschwunden w a r, einschließlich der N aka m uras, denen Nancy erklärte, sie werde Carla noch beim Aufräumen helfen, war m it dem Schließen der Tür gleic h zeitig d as Ende i h res langen Zögerns gekom m en. Sie nahm Nan c y in die Ar m e und küß t e sie, auf den Mund, auf die Schläfe, auf die pochende H alsschlagader, in den sch m alen, war m en Nacken.
    »Keine Angst m ehr ? « flüsterte Nancy, während sie m it ihren Nägeln Carlas W i rbellinie nachzeichn e te. »Keine.«
     
    Sie hatte nicht viel geschlafen, a b er Carla spürte keine Müdigkeit, als das Licht der Morgendämmerung sie weckte, nur eine angeneh m e, tiefe E r schöpfung und überwältigende Zärtlichkeit für die zerbrechliche Gestalt neben ihr. Vorsi c htig löste s ie s ich von der sc h lafenden Nancy, denn es fiel ihr ein, daß sie Roberts Brief noch nicht gelesen hatte, und nun war der beste Zeitpunkt dafür. Sie versuchte, so leise wie möglich zu sein, doch al s sie m it d e m Brief in der Hand in ihr Schlafzimmer zurückkehrt e , war Nancy wach. Sie mußte ein Morgen m ensch sei n ; a u ßerdem brachte sie es irgendwie fertig, selb s t m it verwirrten Haaren und den Spu r en verwi s c h ten Lippenstiftes um den Mund noch wie ein G e m älde auszusehen.
    »Schlechte Neuigkeite n ?« fra g te s ie, denn auf Carlas S t irn standen einige Falten.
    »Ja.«
    Später würde sie Nancy davon erzählen; und vielleicht sogar von dem ohnm ä chtigen Zorn, nur Brie f e schreiben zu können, wo gerade ihre Gegenwart notwendig wäre. Aber sie wollte das Gefühl,

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