Unter dem Zwillingsstern
sich Nancy in diesem Punkt von ihr unterschied. S i e begann, ruhelos auf und ab zu gehen.
Nancy war eine erwachsene Frau und hatte das Recht, die Nacht zu verbringen, wo sie wollte, also konnte Carla m it ihren Befürchtungen noch nicht ein m al zur Polizei gehen. Man würde sie für verrückt halten und ihr frühestens in ein, zwei Tagen, wenn Nancy bis dahin noch nic h t wieder auf g etauc h t war, Gehör schenken. Vielleicht reagierte sie auch übertrieben neurotisch, und Nan c y k a m in d e n nächsten zehn, z w anzig Minuten zurück, um eine Erklärung zu fordern.
Eine Stunde verging, und sie überlegte, wo Nancy hingegangen sein konnte, ob es einen Ort in L ondon gab, der ihr besonders gefiel, gut genug, um einen m itternächtlic h en Ausflug dorthin zu u nterne h m en, um n a chzudenken. Am häufigsten zog es N ancy in die Charing Cross Road, um dort in den Buchhandlungen zu stöbern, doch das kam um diese Uhrzeit n icht in Fra g e. Nancy war zutiefst beeindruckt von W es t m i nster Abbey gewesen. D i e Kirchen waren um diese Zeit längst geschlossen; trotzdem sch r ieb sie eine hastige Notiz, falls Nancy in ihrer Abwesenheit zurü c kkehren sollte, und m achte dann einen m üden Taxifahrer etwas reich e r. Er wartete, während sie um die r ie s ige Abtei h e r u m lie f . In der näc h tlic h en Stille h a llte i h re Stim m e wie ein geist e rh af tes Echo wieder. Nancy war nicht dort.
Während der Rückfahrt nach Mayfair sa g t e s i ch Carla, daß es die Erschöpfung war, der lange Reisetag, das W i edersehen m it Philipp, die sie so verstörten. Nancy würde in dem Hotel sein od e r a u ch nic h t, aber ihr war nichts geschehen. Es gab keinen Grund, Gespenster an die W and zu m alen. Späte s tens morgen früh würde sie wieder da sein, m u t m aßlich zornig, auf jed e n Fall verletzt. Sie würden über alles sprechen, nicht nur über P h ilipp, sondern auch über Carlas Furcht v o r völli g er A b hängigkei t , und versuc h en, ge m einsam eine Lösung zu finden.
Nancy blieb verschwunden, und Carla beschloß, den Rest der Nacht auf der Couch im W ohnz i mmer zu verbringen, um ihr zu zeigen, daß sie erwartet wurde, wenn sie zurückka m , und um zu verhindern, daß sie Nancys Rückkehr überhörte. Irgendwann mußte sie dennoch eingeschlafen sein, denn als das Pochen an der Tür sie aufschrec k en ließ, zei g te d ie Uhr im D ä m m erlicht der kleinen Tischla m pe drei Uhr dreißig, und ihr fehlte die Erinnerung an die letzten beiden Stunden.
Als sie hastig aufstand und zur Tür lief, b e m erkte sie, daß ihre Beine eingeschlafen waren und, wie von tausend Insekten gebissen, kribbelten. Auch ihre l i nke Hand fühlte sich taub an, als sie die Klinke herunterdrückte. Im Flur stand, aschfahl und am ganzen Leib zitternd, ein im Bad e m antel seltsam häuslich wirkender Eddie Feiton, und das erste, was sie dachte, war: N atürlich ist es nicht Nancy, Nancy hat einen Schlüssel. Dann wurde ihr bewußt, daß ein Eddie Feiton um halb vier Uhr m orgens vor i h rer Suite kein nor m aler Anblick war, selbst wenn er nicht wirkte wie ein gerade vor dem Ertrinken Geretteter.
»Carla«, stieß er heiser hervor, »Carla, es tut m i r leid. Das habe ich nicht gewollt, o Gott, ich hatte ja keine Ahnung, sie hat nichts gesagt, ich habe n i c hts gehö r t, o Gott, es t u t m ir leid!«
24. KAPITEL
Halef es tut mir leid. Ich wol l te, daß sie schockiert ist und Dich verlä ß t , weil sie Dich in Ameri k a hielt. Nicht, daß sie stirbt…
Halef schick mir bitte eine Zeile, daß Du noch lebst. Schön, ich weiß, daß Du noch lebst, weil Du so gnädig warst, Jean-Pierre zu schreiben, d aß er kei n e Briefe mehr weiterzusc h i cken braucht. Aber eine persönliche Verfl u chung wäre nett. B itte. Ich weiß, daß Du mir noch nicht verzeihen kannst, aber es ist geschehen, und w e nn ich sie ins Leben zurückholen könnte, ich w ürde es tun.
Carla tu d as bitte nic h t. Hasse mi c h, wenn Du will s t, aber wenn wir uns gegeneinander wenden, ble i bt uns gar nichts m ehr. Du kannst mich nicht aus s c h ließen. Ist es ein Gestän d nis, was Du will s t? Also schön. Ich wußte, daß es möglicherweise passiert, als ich P. erzählte, daß Du in London bist. Ich hoffte, daß die Erschütterung ihres Ide a l b ilds von Dir sie ei n f a c h nur vert r eiben würde, aber ja, ich nahm auch in Kauf, daß sie sich umbringt. Sie war ein Parasit, ein angenehmer, liebesbedürftiger, s c höner Parasit, aber ein
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