Unter dem Zwillingsstern
paar graue Haare an den Schläfen, wo früher keine gewesen waren, aber ansonsten hätte der Bruch zwischen ihnen gestern s t attfinden können. Sie versuchte zu sprechen, eine nor m ale Begrüßung von sich zu geben, ehe Nancy endgültig begriff, wen sie vor sich hatte, und stellte fest, daß ihr Mund zu trocken war, die Kehle zu ausgedörrt, um auch nur einen Ton hervorzubringen. Er stand da wie die leibha f tige Vergangenheit und die Gegenwart, vor der sie d a vongelaufen war. Sie dachte an das, was ihr Robert über seine F r e u nde erzä h lt hatte, aber der Haß, die E m pörung ließen sie im Stich. St a tt des s en entdec k te sie entsetzt so etwas wie Schuldbewußtsein in sich. W as er auch g etan hatte, er war der V a ter i h res Ki n des, ei n es Kindes, das nie geboren worden war und von dem er nichts wußte, nichts wissen durfte. Statt eines Bildes von Philipp und seinen Parteifreunden zerrte ihr Gedächtnis seinen Besuch in Nürnberg hervor, als er m it einem verzwei f elten Bedürfnis von Mariannes eingebildetem Kind sprach. Sie hatte lange gebraucht, um die starke körperli c he Anziehung, die er auf sie ausübte, brechen zu können. Zu ihrer Bes t ürzung kristallisierte sich im m e r deutlicher die Gewißheit heraus, daß das Kind, Charlie, das Gehei m nis, das sie m it sich heru m trug, ein Band anderer Art geknüpft hatte, ein Band, das sie jetzt stumm und r e glos m achte, unfähig, etwas anderes zu tu n , als seinen Blick zu e r widern. Später dachte sie, daß sie ihn einfach ignorieren und auf ihr Zimmer hätte gehen sollen, aber der Mo m ent, in dem die Geste etwas genutzt hätte, verstrich, und es war zu spät.
»Carla«, sagte Nancy, und ihre son s t so m elodische Stim m e klang dünn und hoch, »Carla? Was - was hast du ? «
Warum tat ihr Robert das an, wie konnte er sie so verraten? Es mußte Robert gewesen sein. Selb s t wenn Phili p p durch irg e ndeinen unglaublichen Zufall eine englisc h e Zeitung gelesen hätte, in der etwas über die Dreharbeiten von A rmadale stand, wäre es ihm unmöglich gewesen, ihre Adresse h e rauszufinden. Und warum war er überhaupt hier, was bezweckte er da m it? Selbst Philipp konnte nicht glauben, daß sie ihm auf sein per s önliches Erscheinen hin wie ein Lamm zurück nach Deutschland folgen würde, ganz zu schweigen davon, daß er sie nach dieser letzten Nacht hassen m ußte. E i ne Reise über Hunderte von Kilo m etern, wofür? Aussprache? Rache?
Wenn es R a che war, dann hatte er bereits Erfolg. Nancy schaute zwischen ihnen hin und her. Sie sah aus, als werde ihr sc h lecht. Tief Atem holend, wich sie ein paar Sch r itte zurück, dann drehte sie sich um und rannte am Empfang vorbei die Hoteltreppe hinauf. Einen Mo m ent lang zog Carla in Erwägung, ihr n a ch z ulau f en, ab e r sie t a t es nicht. Nancy die ganze Angelegenheit zu erklären würde das unangeneh m ste Gespräch ihres Lebens werden, gleich nach de m , das sie nun vor sich hatte, und im Moment wirkten beide wie die W ahl zwischen S kylla und C harybdis. Am liebsten wäre sie vor beiden geflohen, aber das wäre feige gewesen, und sie hatte Philipp nie den Triu m ph gegönnt, sie ängstlich zu sehen. Nimm dich zusammen, befahl sie sich. Du kannst da m it fertigwerden. E ins nach dem anderen. Erst Philipp, dann N ancy.
Wenn Philipp sie aus der Fassung b r achte, hatte es ihr i mm er geholfen, sich in Sarkas m us zu flüchte n , und so griff sie nach der ersten einiger m aßen brauchbaren Be m erkung, die ihr einfiel.
»Laß m i ch raten. Als Belohnung für treue Dienste hat man dich zum neuen Botschafter in London ge m acht, und du suchst nach Gästen für deinen ersten E m pfang.«
Er schüttelte den Kopf; ei n winzi g es Lächeln spielte um seine Lippen, doch noch immer s agte er nic h ts. Sie kannte wenige Menschen, die Schwei g en so e ff ektiv eins e tzt e n wie Phili p p. Natürlich war sie sich bewußt, daß sie an Boden ver l or, da sie als erste spr a ch, aber einen W ettbewerb im gegenseitigen stum m en Fixieren w ürde sie im m er verlieren. Das gesproc h ene Wort war ihr Mediu m .
»Ein Jammer«, fuhr sie so unbek ü m m ert wie m öglich fort. »Ich dachte immer, daß d ie Briten m it ihrem Zeremoniell dir li e gen würden, aber ich neh m e an, der Ribb e ntropsche Champagner wiegt eben m ehr als das Bach m aiersche Leder.« Das war eine Anspielung auf die Herkunft des Vermögens des d e rzeiti g en Botschafters. All m ählich flossen ihr die W orte wieder leichter zu.
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