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Unter dem Zwillingsstern

Titel: Unter dem Zwillingsstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Mensch, Max, wir haben im Deze m ber Pre m iere!«
    Viele Leute nannten Reinhardt Max, aber s i e taten es auf andere Weise. Shu m lins Ton war eindeutig herablassend, er sprach m it einem Angestellten, nicht m it einem Partner o d er gar ein e r Theat e rl e gende. Und Max Reinhardt, jahrzehntelang der unangefochtene König des deutschsprachigen Theaters, nickte nur höflich. Erst als Shu m lin wieder verschwand, schloß er die Augen und sagte leise, wie zu sich selbst: »Ich fürch t e, ich kann nicht m ehr von ein Uhr nach m ittags bis elf oder bis Mitternacht durc h ar b eiten.«
    »Dann hör auf d a m it«, entgegnete Eleonore beschwörend. »Max, Regie hier am Broadw a y zu führen ist es doch nicht wert, daß du dir deswegen deine Gesundheit ruinierst.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich darf nicht, zu allem anderen, auch noch in einen schlechten Ruf kom m en. Immer habe ich all m eine Verpflichtungen eingehalten. W e nn die Leute jetzt den Eindruck gewinnen, daß ich dem m odernen Theater b etrieb nic h t gewachsen bin… Es ist schon gut, Leonore, ich f ü rchte nur, ich bin nicht m ehr der Jüngste.«
    Das war es: Die berüh m te eiserne Konstit u tion, di e Max Rei n hardt nie krank werden ließ und ihn zu einem uner m üdlichen Arbeiter m achte, der auch nach elf Stunden Proben noch den aufmerksa m en Gastgeber auf einem Empfang für Fürstlichkeiten spielen konnte, war ebenso erschüttert wie die ru hi ge Auto r it ä t, die er immer aus g estra h lt h atte. Plöt z lich wurde es Carla bewußt, daß er fünfundsechzig Jahre zählte.
    »So, und Sie haben auch Pre m iere im nächsten Monat ? « fragte er sie, sichtlich entsc h loss e n, wieder et was Nor m alit ä t herz u st e llen.
    Sie nickte, und um die Beklem m ung, die sie erfaßt hatte, loszuwerden, erzählte sie etwas über das S t ück und bekannte dann, nach fünf Jahren Bühnenabstinenz bereits jetzt unter dem schlimm s ten La m penfieber ihres Lebens zu leiden.
    »Es gibt Mo m ente, da wünschte i c h, daß es nicht ausgerechnet eine Ko m ödie wäre, obwohl ich anfangs so froh darüber war. Wenn ich aus dem Rhyth m us gerate und einen Gag verpatze, ruiniert das die ganze Szene. Ganz offen, ich habe A ngst, daß nie m and an d e n richtigen Stellen lacht, nur an den fal s c h en, weil s ie erwarten, mit m ir in dem Stück müsse ein Monster im Wandschrank versteckt sein.«
    Reinhardt hörte auf m e r ksam zu, und etwas an ihm veränderte sich. Mit e inemmal war die alte Auto r it ä t wieder da.
    »Sie haben ein gutes Z eitgefühl, das weiß ich noch, und darauf kom m t es bei der Komödie am m e isten an. Sprechen Sie m ir doch eine Szene, nur eine kurze, einen kleinen Monolog oder etwas dergleic h en. Oder le s en Sie Ihre Rolle n och?«
    Für Reinhardt-Schauspieler war es immer selbstverständlich gewesen, auch zwei Monate vor der Pre m iere ihren Text zu be h errsc h en, aber Eleonore hatte ihr erzählt, daß dem bei den von Shu m lin ausgewählten Darstellern n i c h t so war, al s o verstand sie seine Fra g e.
    »Nein, aber…« Sie be m erkte Eleonores bittenden Blick und schluckte ihr Unbehagen bei der A u ssicht, vor dem Meister zu i m provisieren und sich eve n tuell lächerlich zu m achen, hinunter. Es gab eine Szene, in der die P olin, Mar i a, zum ersten Mal als Garbo verkleidet, in der W ohnung des jungen Paars aufwachte. Sie verlief größtenteils panto m i m isch, doch ein Teil der Ko m i k bezog si ch auch aus den Kommentaren, die Maria ü b er ihre neue U m gebung abgab. Die hintersten Stuhlreihen des W indsor-Theaters m ußten als Couch, Kommode und übriges Interieur herhalten, während Carla versuchte, die noch nicht vollendete Maria f ü r einige Minuten hierherzuholen.
    Als sie m it der Be m erkung »Und ich will w i rklich allein sein« schloß, lachte Eleonore und applaudie r te. Reinhardt lächelte, aber er sagte nachdenklich: »Sie halten noch zurück. Oh, ich weiß schon, die Bedingungen sind hier nicht ideal, aber den Satz m it dem Bild, das aussieht wie die Muttergottes von Krakau… das ist noch zu sehr Carla Fehr und nicht eine P olin. Aber w issen S ie, die Art, wie S ie etwas aufheben und abstellen, das gefällt m i r außerordentlich, diese Drehung m it dem Handgelenk, das hatten Sie noch nicht, als Sie bei m i r waren. Es wirkt unbewußt elegant. W ie wäre es, h m , wenn Sie das m it Bewegungen konterkarierten, die absichtlich elegant wirken sollen, sobald Maria d ie Garbo i m itie rt ? Im Prinzip haben

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