Unter dem Zwillingsstern
die kleine Schlosser, hatte sie ein Gebet geleh r t, das ihn jede Unze an Selbstbeherrschung gekostet hatte, als er es von M a rtina hörte. Li e ber Gott, mach mich fromm, daß i ch nicht nach Dachau k omm. Käthe war eine gesunde, energische Frau, aber a l s Zwangsarbeiterin in einem der Lager, von denen er inzwischen nur allzu viele Gerüchte gehört hatte, würde i h re Leben s a u ssicht auf w e nige Jahre begrenzt sein, im m e r vorausgesetzt, daß m an sie n i cht ei nf ach erscho s sen hatte, wie ei n i g e der Menschen, die er bei der Flucht aus Berlin auf der Straße hatte liegen sehen. Die Vorstellung tat k ö rperlich weh. Als Barbara starb, hatte er noch lange danach von ihr geträu m t , und die Art, wie sich ihre Haut anfühlte, ihr Haar, der leichte Druck ihrer Finger, wie einen Phanto m sch m erz i n einem a mputierten Körperteil gespürt. Etwas Ähnliches empfand er jetzt, und er begriff es nicht, denn seine E m pfindungen für beide Frauen waren s e hr unterschiedlich ge w esen, und bei Käthe hatte er nie m ehr get a n, als sie brüderlich zu u m a r men.
»Nein«, sagte er, als ihm die Erken n tnis ka m , »nein, das kann nicht sein.«
Er begann, den Oberkörper vor und zurück zu wiegen, ohne sich bewußt zu werden, was er tat, die Ar m e in d e m verzweifelten B e m ühen verschränkt, die W i rklichkeit a b zuhalten, die Leere, den entsetzlichen Verlust. Es genügte, um Carla aus dem Rest ihres eigenen Schocks herauszuholen. Er hatte r e cht, ein Funke Hoffnung blieb, solange sie nicht wirklich wußt e n, daß Kathi gestorben war, und inzwischen mußte sie sich um ihn küm m ern. Vielleicht wü n schte s i e sich insgehei m , nicht Dr. Gold m ann hätte es nach A m erika geschafft, sondern Kathi, aber die Wahl hat t e nie bestanden, und er gehörte zu den wenigen Menschen, denen sie w i rklich nur Gutes wünschte. Jetzt in eine neue gefühlsleere Starre zu verfallen konnte sie sich nicht leisten, nicht, wenn es einen Menschen gab, für den sie die Verantwortung trug.
»Martin«, flüsterte sie, legte i h m die Ar m e um die Schultern und spürte, wie er am ganzen Leib beb t e, »Sie sind nicht allein. Was auch geschieht, wie die W ahrheit auch l a utet, wir sind beide nicht allein.«
»Ich habe es ihr nie gesagt«, m u r m elte er betäubt. »Ich habe es selbst nicht gewußt, und nun wer d e ich es ihr nie sagen können.«
Er spürte, wie sie eine s einer zu Fäusten verkrampften Hände löste und etwas in sie hineinlegte.
»Aber sie hat es gewußt«, e r widerte Carla leise. »Im m er.«
27. KAPITEL
Für ei n e A c htjä h rige, d a chte Rob e rt, während er seine Tochter dabei beobachtete, wie sie sich von i h rer Mutter verabschiedete, war Martina klein. Bei zwei hochgewachs e nen Eltern fiel das ins Aug e . Monika starrte über Martinas Kopf hinweg zu Robert hinunter, der am Fuß der Treppe wartete, als sie Martinas Haarschleife g eradezog, aber s i e m achte k eine Anstalten, i hn zu begrüßen. Seit ihr neuer Ehe m ann zu Beginn des Rußland f eldzuges eingezogen worden war und sie allein lebte, war sie wesentlich entgegenkom m ender, was die Abstim m ung von Roberts Besuchszeiten m it seinem Te r m inkalender anging, weil es sie entlastete, wenn Martina ein paar Tage bei ihm wohnte. Doch das änderte an dem frostigen Kli m a z wischen ihnen beiden nichts. Er stellte f est, daß seine Schuldgefühle Monika gegenüber au f gebraucht war e n. Sie hatte sich reva n c h ie r t; sie wa r en quitt. Im m erhin, wenn er nicht gerade m it ihr sprac h , e m pfand er kei n en Haß gegen sie.
Martina trug ihren kleinen Koffer m it den Kleidern für die n ä chste Woche und weigerte sich, ihn ihm z u überlassen, als er es ihr anbot. Robert griff sich ans Herz.
»Bin ich wieder in Un g nade, Euer Maje s t ät?« fragte er. »Verbannt aus dem Re i ch derer, m it denen m an spricht ? «
Sie krauste die Nase. »Keiner von den anderen Vätern benim m t sich so wie du«, verkündete sie m i ßbilligend. »Du m achst immer aus allem einen W itz!«
»Die W elt wäre son s t ni c ht zu ertra g en, Martinette.«
Der Spitz na m e war einer s e iner we n igen Er f olge bei s ein e r Tochter. Sie hatte m it ein paar Freundinnen einen Gehei m bund g e gründet, und jede mußte einen N a m en anneh m en, der etwas m it dem ursprünglichen Na m en zu tun hatte, aber sie haßte Verkleinerungsfor m en wie »Tinchen«, »Martinchen« oder »Tina«. Sie wollte etwas, das geheimnisvoll klang. Also h a
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