Unter dem Zwillingsstern
enn er stir bt ?« fragte s ie m it eingesch ü c h terter Stimme. »Du auch? Ich auc h ?«
»Jeder.«
»Aber ich dachte, wir kom m en in den Himmel!«
»Da kom m s t du sicher hin, aber nicht m it deinem Körper. Der bleibt hier und füttert die W ü r m e r . Die ar m en Viecher kriegen sonst nichts zu essen, das gehört e i nfach zur Aufgabe des Menschen.«
Sie grinste, doch dann er m ahnte sie sich, daß sie ihn endlich dazu bekommen wollte, sie ernst zu ne h m en, und dazu gehörte, nicht m ehr über seine dauernden Witze zu lac h en.
»Und der Mann, der beerdigt wird, der verfault auch ? «
»Der auch. Er wird n i cht allein beerdigt, Martine t te. Sei n e Frau und sein kleiner Junge sind ebenfalls gestorben.«
»Oh. Das ist traurig.«
»Ja, das ist es.« Robert schwieg einen Augenblick und suchte nach der richtigen Ausfahrt zum Friedhof von Stahnsdorf. Als er sie gefunden hatte, sprach er weiter. » D er Mann war auch Schauspieler, wie ich. Er hieß Joachim Gottsc h alk, seine Frau hieß Meta und der kleine Junge Michael. Er war gen a uso alt wie du, ganz genauso alt. Aber im Gegensatz zu d ir hatte er zwei Eltern, die einander sehr liebten und sich nicht scheiden lassen w o llten, auch als es ihnen befohlen wurde.
»Aber warum?« Das v e rstand sie ganz und gar nicht. Geschieden zu werden war scheußlich, doch es beendete zu m i ndest die dauernde Streiterei. N ur, wenn es keine Strei t erei gab, dann bestand doch auch kein Grund… Sie beneidete den unbekannten Michael, weil seine Eltern n icht m iteinand e r st r itten, bis ihr ein f i e l, daß sie d af ür jetzt alle tot wa re n.
» W eil Meta Jüdin war«, sagte ihr Vater sehr ernst, »und der Führer nicht will, daß Juden und Nicht-J u den verheiratet sind, hat er Herrn Gottschalk befohlen, sich von sei n er Frau scheiden zu lassen.«
Um ganz p r äzise zu sein, war die Anordnung von Goebbels g e kom m en. J oachim Go t t schalk war nicht der einzige pro m inente Schauspieler m it einer Gattin, die nach den Kategorien des Regi m e s nicht »arisch« war, aber die m eisten anderen hatten sich entweder bereits zu Beginn des Dritten Reiches scheiden lassen, wie Heinz Rüh m ann, oder es handelte sich b e i ihren Lebensgefährten um sogenannte »Mischlinge ersten oder zweiten Grades«.
Einen Vor g esch m ack auf das Schicksal der Gottsc h alks h atte d as von Renate Müller gebot e n, der Goebbels sowohl die Abfuhr, die sie ihm erteilt hatte, als auch ihren jüdischen Freund, den sie regel m äßig zuerst in Paris und dann in London besuchte, nicht verzieh. Er griff nicht einfach zum Mittel des Arb e itsverbotes, dazu war sie zu belie b t. Statt dessen ließ er sie stä n dig beschatten, ließ die Drehbücher für ihre Fil m e in letzter Minute u m schreiben, die für die Fil m e g e fertigten Kostü m e zurückziehen und lancierte d as Gerücht, sie sei rauschgiftabhängig. Als sie an ein e m Gehirnschlag starb, setzte er noch hinzu, es sei Selbst m ord g e wesen. Das alles hatte sich, über Jahre hinweg, vor dem Krieg ereig n et. Mittler w eile lie f en d ie Dinge für Schauspieler, die sich d e m Minister widersetzten, etwas schneller. Für Joachim Gottschalk hatte ih m , von der W eigerung an, sich scheiden zu lassen, nur ein Jahr genügt. Gottschalk bekam kleinere und kleinere Rollen, dann überhaupt keine m ehr. Schauspieler, die nicht m ehr spielten, wurden e i ngezogen wie alle anderen Männer auch. Und nach dem Einzug würden Meta und Michael G ottschalk »evakuiert« werden. Das alles war vielleicht zu ko m plex, um von Martina begriffen zu werden, a b er das Grundprinzip konnte sie verstehen, und darauf kam es Robert an.
» W eil Herr Gottschalk aber sei n e Frau und sein Kind liebte und sich nicht v on ihnen tr e nnen wollte, trotz des Be f ehls, dur f te er nicht m ehr arbeiten. Doch das war i mmer noch nicht genug. Man hätte Frau Gottschalk und Michael weggeschickt, wie die Leute vorhin am Bahnhof, M artinette. Und um das zu verhindern, nah m en sie alle Schlaftabletten, drehten den Gashahn auf und brachten sich u m . Herr Gottschalk, Frau Gottschalk und der Junge in deinem Alter. Sie sind tot, weil der Führer die Juden haßt.«
»Das stimmt nicht!« protestierte sie heftig. » D u m ußt dich irren, Papa! Der Führer will nicht, daß die Leute sich u m bringen… vielleicht«, schloß sie ho f fnungsvoll, um aus der schrecklichen Geschichte herauszufinden, »hast du a l les falsch verstanden, und Frau Gottschalk war eine von
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