Unter dem Zwillingsstern
den bösen Juden, und sie hat ihren Mann und das Kind u m gebracht.«
Robert schüttelte den Kopf. »Sie h a t ihr Kind genauso lieb gehabt wie deine M a m a dich. Nach alle m , was ich über sie weiß, war sie ein ebenso guter Mensch wie Dada. Verstehst du, es könnte Dada sein, der heute beerdigt wird.«
Sie begann zu schluchzen. Mit geballten Fäusten und tränenüberströ m t em Gesicht stieß sie hervor, s i e hasse ihn. Obwohl sie es nicht zugeben wollte, hatte sie sich auf d ie W oche m it ihm gefreut, und nun erzählte er ihr eine f urchtbare Geschichte, die alles auf den Kopf stellte und alles kaputtmachte. Mama hatte versprochen, sie zu einer Parade m itzuneh m en, bei der auch der Führer anwesend sein würde, und jetzt würde sie ihn nicht ans c hauen können, ohne an einen toten Jungen in ihrem Alter und seine Eltern zu denken. Das war alles die Schuld ihres Vaters.
»Das tut m i r leid«, entgegnete er, »aber du bist alt genug für die W ahrheit, o der will s t du lieber wie ein Klei n kind beha n delt werden ? «
Sie weinte noch heftiger, und er warf ihr einen schuldbewußten Blick zu, a b er er sa g te n icht, daß die Geschichte nicht stimme, daß es sich um einen schlechten Scherz handelte. Sie spürte kaum, daß er den W agen anhielt.
»Komm«, sagte er. Nur wenige andere Autos standen dort, und er sah, wie sich ein Mann die Num m e r n notierte. E s kam nicht überraschend. Deswegen hatte er m it sich gerungen, ob er an der Beerdigung teilneh m en solle. Auf Goebb e ls’ Haßliste der nächste zu sein gehörte nicht zu den Dingen, die je m and m it gesundem M enschenverstand gern auf sich nah m , und a ußerdem hatte er Gottschalk nur sehr oberflächlich gekannt. Doch als er Martina nach den Leuten m it dem gelben Stern fragen hörte, wußte er, daß er eine Grenze erreic h t hatte. Es m ußte Dinge geben, die m an nicht bereit war zu tun, und Dinge, die m an tat, selbst wenn sie einen alles kosten konnten, sonst lebte m an nicht m ehr, sondern exi s tierte nur noch. Gottschalk, das hätte er selbst sein können, wenn D a da noch hier wäre, und der kleine Michael Martina. N u n wußte er zu m indest, daß sein Verhalten heute für Martina keine Konsequenzen haben würde, n i cht b ei ihrem erzloyalen Stiefvater, der in R ußland für den E ndsieg kä m pfte, und ihrer bekannter m aßen im Unfrieden von ihm geschiedenen Mutter. Er konnte sich nicht einreden, um M artinas oder Dr. Gold m a nns willen auf seinen weiterhin gesicherten Status in der Fil m und Theaterwelt W ert legen zu müssen. Auch die Her m iaden hingen nicht m ehr nur von ihm ab. Nein, die Entscheidung, zu Gottschalks Begräbnis zu g ehen, m ußte er allein m it sei n em Gewissen au s m achen, und es war eine sch m erzhafte Entdeckung, daß er im m er noch eines hatte.
Martina blieb zunächst ein wenig zurück, und er fürchtete, sie werde sich in das Auto flüchten und nicht m ehr herauskommen, aber am Ende ließ sie sich bei der Hand n e h m en und zu den wenigen übrigen Trauergästen führen. G ustav Knuth, der beste F reund des T oten, und seine Frau, Rene Deltgen, Brigi t te Horney und W olfgang Liebeneiner. Gottschalk, der S tar ohne Sta r allüren, war ein m al sehr beliebt gewesen, nicht nur beim Publikum. Es hätten viel, viel m ehr Menschen kom m en m üssen. Aber jedem Schauspieler in Berlin war m itgeteilt worden, die T eilnah m e an Joachim Gottschalks Beerdigung sei unerwünscht, unerwünscht vom Minister für Volksaufklärung und Propaganda. Am Grab stand eine tiefverschleierte Frau in Schwarz, die wohl Gottschalks Mutter war, neben ihr ein Mann in SS-Unifo r m. Robert stellte sich neben Brigitte Horney, die er von allen am besten kannte, und m achte eine fragende Kopfbew e gung zu dem SS-Mann hin.
»Der Bruder von Joachim«, flüsterte die Horney.
Das war eine Überraschung. Der Mann m achte ein versteinertes Gesicht, nur sei n e Unt er lippe zitt e rte sic h tlich. D er se h r n er v ös wirkende Pfarrer ka m , um ihm und sei n er Mutter die Hand zu s chütteln, dann begann er m it der Beerdigung, die nur ein paar Minuten dauerte. W ährend der ganzen Zeit blieb Martina still. Sie h atte zu weinen aufgehört, und ihre Hand in der s e inen rührte sich nicht m e hr. Dada würde vermutlich den Kopf schütt e ln und ihm vorwerfen, er sei brutal zu dem Kind. Aber Robert fragte sich, wieviel Z eit er noch hatte, um überhaupt etwas zu sein. Ganz abgesehen von den heutigen Vorkom m nissen, konnte ihn m orgen
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