Unter dem Zwillingsstern
wied e r zusehen. Nach all den riesi g en Häusern in Berlin ersc h i en sie Carla kleiner, und die Farbe blätterte langsam ab; es wurde Zeit, daß Philipp einen neuen Anstrich spendierte. Trotz d em reduzierte allein der Anblick des Eingangs m it seinen Löwenhäuptern über den Türpfosten sie wieder auf das unglückliche Mädch e n, das von hier fortgelaufen war. Mit zusa mm engebissenen Zähnen igno r ierte Carla das aufsteigende Elend und machte sich daran, Marianne zu begrüßen.
Mariannes Bauch war nur leicht, aber deutlich gewölbt. Ihre kleinen, zierlichen Hände flatterten auf, als Carla zu ihr trat, u nd sie tat etwas, das sie viele Jahre lang nicht getan hatte; sie strahlte. D aß dieses Strahlen ihrer jün g eren Schwester galt, v e rwirrte Carla genug, um ihre vorbereitete Begrüßung zu vergessen und Marianne zu u m ar m en.
»Du schaust großartig aus«, sag t e sie später, nachdem sie i h re Glückwünsche ausgesprochen hatte, und überreichte Marianne ihre Geschenke.
»Oh, ich fühle m ich wunderbar. Es ist ein Zeichen dafür, daß Gott m i r vergeben und m eine Ehe gesegnet hat.«
»Dir verge b en?« fragte Carla ver b lüfft. Ein Schatten flog über Mariannes Gesicht. Dann entschieden sie in still s c h weigendem Einverneh m en, das Th e m a zu umgehen, und Carla legte die Schallplatte auf das schöne, neue Gr a mmophon, d a s, wie Marianne be m e r kte, von einem Geschäftsfreund ihres Mannes stam m te. Nach einigem Rauschen ertö nt e das erste L ied. Maria n ne runzelte die Stirn, dann lachte sie.
»Aber Carla, das ist doch dieses moderne Zeug, diese Neger m usik.«
Es klang nicht unfreundlich, nur v e rblüfft, und daher entschloß sich Carla zu einem kleinen Scherz. »Eben«, entgegnete sie. »Die Klassiker kannst du dir selbst auf ein e m Klavier vorspielen. Aber das m acht dich zu der vielseitigsten und m odernsten Frau von München. Du kannst dazu lernen, wie m an Charleston tanzt, paß auf!«
Sie schnipste m it den Fingern und brach in einen Charleston der wilderen Sorte aus, absichtlich et w as übertrieben, und Marianne klatschte bald lachend den Rhyth m us m it. Es war bei weitem der fröhlichste Mo m ent in ihrem g e m e i nsa m en Leben, und er währte, bis Mariannes Gelächter verebbte und i h r Klatschen abrupt aufhörte. Carla tanzte m it dem Rücken zur Tü r, daher merkte sie erst, daß je m and i m E i ngang zum kleinen Sal o n stand und sie beobachtete, als ihr Mariannes Schweigen und ihr p l ötzlich ernstes Gesicht auffiel. Sie wirbelte herum und s ah ihr e n Schwager Philipp vor sich.
»Nun«, sagte er kühl, »du hast in Berlin zu m i ndest gelernt, wie m an Auftritts m usik einsetzt.«
In Gedanken häufte Carla Verwünschungen auf sein Haupt. Es war so selten, daß Marianne und sie sich nicht befangen in der Gegenwart der anderen fühlten, daß Marianne auftaute und zeigte, wie sie sein konnte, we n n sie nicht gerade eine m ittelalterliche Nonne spielte, und da m ußte er kommen und alles verderben. Im m erhin, vielleicht ließ sich noch etwas von der Stimmung retten. Das m i ndeste, was er verdiente, w ar, etwas aus der Ruhe gebracht zu werden.
»Oh, ich habe noch m e hr als das geler n t, Phili p p. Ich könnte es dir beibringen. Den Charleston, m eine ich.«
Als Antwort erhielt sie einen s e iner Haiblicke und die Bemerkung, er halte nichts von »norda m erikanischer Neger m usik«. Das Lied wechselte, u nd Carla fragte spötti s c h : »Und wie ist es m it ei n em süda m erikanischen Tango? Komm schon, Philipp«, sie erfaßte seine linke Hand und legte ihre eigene auf seine Schulter, »es ist ganz einfach, wenn m an den Dreh erst ein m al heraus hat.«
Schau doch nicht immer zu dem T angospieler hin, Tangospieler hin, Tangospieler hin, säuselte das Grammophon, und schadenfroh dachte Carla, daß Philipp, wenn er sich jetzt gewaltsam los m achte, etwas läc h erlich wirken würde, wie eine alte Ju n gfer unter d em Mistelzw e ig o d er d e r Spi e lverder b er, d e r e r war. E r sc h ien zu der gleichen Erkenntnis zu kom m en; er leg t e den rechten A r m um i hre Taille und überraschte sie damit, tatsächlich einige Tangoschritte zu beherrschen. Sie hatte schon of t genug T a ngo getanzt, doch Phili p p so nahe bei sich zu s püren erinnerte sie an den Abend in der Bibliothek, und ihre Gewiß h eit, die La g e völlig im Gri f f zu haben, bröckelte etwas. Seine Hände waren sehr war m ; die auf ihrem Rücken bran n t e durch die W olle ihres
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