Unter dem Zwillingsstern
Und das bedeutete, daß s i e eine Szene m it dem Darst e ller des Richard hatte, m it keinem ander e n als W erner Krauß, der hier in diesem Stück ein ein m aliges Ga s t spiel gab, weil er s elb s t ei n m al zum Nürnberger Theater gezählt hatte.
Carla u m ar m t e den sauertöpfischen alten Gümpert, der neben ihr stand und die Liste studierte (er s p ielte Morton), dann rannte sie ohne Rücksicht auf ihre E rwachsenenwürde zu dem Direktor und sprudelte i h re überwältigen d e Dankbarkeit heraus.
»Schon gut, schon gut, F ehr, verhunzen Sie es nur nicht.«
Jegliche Zurückhaltung war ver g essen, als sie einen glücklichen, langen Brief an Käthe schrieb und dann, weil sie im m er noch so aufgeregt war, an Robert, postlagernd nach Mia m i, denn er hatte wie im m er keine feste Adresse. In seinem Umschlag steckten neben einem unterhaltsa m en Bericht über die Mücken in den Everglades und einigen Zeichnungen auch eine Fil m zeitschrift, die er ihr gekauft hatte. Neben einem Photo von Charlie Chaplin in Soldatenunifor m , aus dem in Deutschland im m er noch verbotenen Film Shoulder Arms, stand in seiner krakeligen Sch r ift: »Das bist du, als Nürnberger Lebkuchen m ännla.«
Die Proben begannen natürlich lang e , ehe Krauß in Nürn b erg ei n traf. Ludwig Dübel, der erste Hauptdar s teller, las an sei n er Stelle, also hatte Carla bereits einige Übung in dem Part, als es zu ihrer ersten Begegnung m it W erner Krauß ka m . Die Elisabeth und der Buckingham der Inszenierung, welche die m eisten Szenen m it ihm hatten, m achten bereits m it Geschic h ten die Runde; a ußerhalb der Bühne sei er zugänglich, aber während der Proben lasse er sich von nie m and e m etwas sagen und habe reg e lrechte W u tausbrüche, wenn je m and in seinem Text steckenbleibe. E in solc h er Au sbruch h atte d ie Anna der Nürnberger Inszenierung bereits in Tränen aufgelöst z u rückgelassen, doch, kom m entierten die Ensemble m itglieder, die nicht ge m einsam m it ihm auftraten und sich daher darauf beschränken konnten, das schauspielerisc h e Wunder nur zu beobachten, das ähnele schließlich der W i rkung, d i e Richard bei Shakespeare auf Anna habe, und sei so m it gut für das Stück.
Carla fiel als erstes sein we i ßblondes Haar auf, weil sie ihn noch nie ohne Maske gesehen hatte; auch für diese Inszenierung würde er auf der Bühne eine Perücke tra g en. Das Haar war so hell, daß m an das Grau kaum erkannte, obwohl er nicht m e hr der Jüngste sein konnte, und auch sonst sah er g a nz und gar nicht wie Dr. Caligari aus, wie Rudolf von Habsburg oder eine der anderen Rollen, in denen sie ihn auf der Bühne und im Fi l m bewundert hatte. Sein Gesicht war auch alltäglich, e i n quadratisches, biede r es Bauerngesicht ohne jeden Anflug von D ä monie, in dem nur die s pitze, leicht gebogene Nase ungewöhnlich wirkte; er schaute verschlossen und sehr konzentriert drein, während der Regiss e ur sie vorstellte, denn m it allen anderen Schauspielern in dieser Szen e h at t e er b ere i ts g e p r ob t.
»Gut«, m einte der Regisseur, »auf geht’s.«
Selten in ihrem Leben war Carla für etwas so dankbar wie für den kurzen Dialog, den die beiden Prinzen m iteinander hatten, ehe der jüngere von Richard angeredet wur d e; in dem Mo m ent, als die Raupach zu sprechen begann, vollzog sich m it Krauß eine W andlung, die ihr vor Bewunderung beinahe die S p rache verschlug. Ohne eine Kostü m änderung, Maske oder zusätzliche Attrappen stand ein buckliger Mann vor ihr, der sie, wie auf dem Sprung liegend, m it geheuchelter Bonho m i e lauernd beobachtete.
»Wie geht es unserm edlen Vetter York?« fragte er sie, als die Raupach geendet hatte.
»Ich dank Euch, lieber Oheim«, erwiderte Carla, m ehr verzweifelt konzent r ie r t als k e ck; er st in d er nächsten Zeile fand sie zu dem unbekümmerten Kinderton zurück, den sie geübt hatte. »Ha, Mylord, Ihr sagtet, unnütz Kraut, das wachse schnell: Der Prinz, mein Bruder, wuchs mir über’n Kopf.«
Der junge Herzog von York hatte in dem Stück eindeutig den besseren Text von den beiden Prinzen; er war schlagfertig genug, um selbst der wortgewandtesten und intelligentesten Person des Stücks, Richard selbst, Paroli bieten zu können, und daher ließ Carla etwas Spott einfließen, denn sie hatte entschieden, daß der Junge seine Spitzen n ic h t aus Nai v it ä t loswurde.
»Ich bitt’ Euch, Oheim, gebt mir diesen Dolch.«
»Den Dolch, mein kleiner Vetter?« K
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