Unter den Linden Nummer Eins
Meunier.« Er reichte ihm eine Visitenkarte.
Der Empfangssekretär betrachtete die Karte, hängte den Hörer wieder ein und murmelte: »Meunier, Meunier – da war doch was?« Er gab ihm die Karte zurück. »Ah ja!« Er griff nach einem Hefter mit der Aufschrift Wichtig!, schlug ihn auf, tippte mit dem Finger auf die Seite und sagte: »Es ist wegen der Stelle, nicht wahr?«
Karl bejahte.
»Dann würde ich Sie bitten, gleich dem Pagen zu folgen. Herr Generaldirektor Adlon wünscht mit Ihnen persönlich zu reden. Eine Sekunde, bitte!« Es mußte etwas sehr Ungewöhnliches sein, daß Louis Adlon einen normalsterblichen Stellungssuchenden empfing, denn der Mann von der Rezeption schürzte die Lippen, und Karl vermeinte zu bemerken, daß er unmerklich den Kopf schüttelte. Außerdem hatte er gelernt, daß man Louis Adlon mit Generaldirektor titulierte, vermutlich, weil es in einem derart großen Haus, wie es das Adlon war, noch andere, untergeordnete Direktoren gab. Der Mann hinter dem Rezeptionstresen las noch einmal, wie um sich zu vergewissern, daß er die Notiz im Hefter nicht falsch verstanden hatte, und betätigte erst dann einen roten Knopf auf dem Empfangspult. Im Nu tauchte ein Junge in Pagenuniform auf. »Bring den Herrn zum Herrn Generaldirektor. Er ist in seinem Büro.«
Der Junge machte einen tiefen Diener. »Bitte, hier entlang.« Er lud Karl mit einer linkischen Handbewegung zum Folgen ein. Eine silberne Plakette zeigte Karl, daß Page Nummer sieben ihn führte. Vor einer eichengetäfelten Flügeltür mit den Initialen L. A. blieb er stehen und klopfte zaghaft an.
»Ja?« schallte es von drinnen.
Der Page drückte die Tür vorsichtig auf, weit genug, daß er seinen Kopf ins Zimmer stecken konnte. »Ein Herr für Sie, Herr Generaldirektor!«
»Rein mit ihm, Fritzchen, und warte draußen!«
6.
E IN ENERGISCHER F USSFALL ÜBERZEUGT L OUIS A DLON
Louis Adlon bat Karl, Platz zu nehmen. Er selber blieb stehen und begann, als Karl saß, langsam, mit auf den Rücken verschränkten Händen, hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu schreiten. Durch die Fenster hinter dem Schreibtisch, das Büro
ging auf die Linden hinaus, sah Karl den morgendlichen Verkehr vorbeifluten. Es schneite noch immer dicke Flocken auf die Blumenfrau.
Louis Adlon räusperte sich mehrmals, bevor er sprach. »Eigentlich fallen Einstellungsgespräche in den Aufgabenbereich meiner Frau, Herr Meunier, aber heute müssen Sie mit mir vorliebnehmen. Sie ist auf Reisen.« Er deutete auf einen handbeschriebenen Briefbogen auf der Schreibtischplatte. »Aber im Vertrauen, das ist eine Ausrede. Natürlich hätte sich auch Herr Engel mit Ihnen unterhalten können.« Er griff nach dem Briefbogen, Karls Lebenslauf. »Ehrlich gesagt ist es Ihre Vita, die mich neugierig gemacht hat. Sie scheinen ein interessantes Leben geführt zu haben und viel in der Welt herumgekommen zu sein.«
Karl zuckte mit den Achseln. »Wie man es nimmt, Herr Generaldirektor. Aber es stimmt, meine diversen Tätigkeiten haben mich soweit einigermaßen ernährt und dazu quasi gratis in der Welt herumgebracht, das ist richtig.« Daraus, daß Louis Adlon dem Generaldirektor nicht widersprach, schloß Karl, daß es allgemein üblich zu sein schien, ihn so anzureden. Er legte den Mantel, den er noch immer über dem Arm trug, in seinen Schoß.
»Sie schreiben«, Louis Adlon unterbrach sein Auf- und Abgehen und las laut vor: »›Nach meinem Ausscheiden aus der Armee als Oberleutnant belegte ich Anglistik, Romanistik und Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität und exmatrikulierte 1923 als Magister‹ – gleich darauf teilen Sie mir mit, daß Sie Anfang 1924 bereits Steward auf der Midmed-Linie zwischen Genua und Istanbul waren. Ja, haben Sie denn nie versucht, etwas aus Ihrem Universitätsabschluß zu machen? – Lektorat in einem Verlag oder von mir aus auch Kundenbetreuer für Ausländer bei einer Bank?«
Karl nickte. »Versucht schon, Herr Generaldirektor, aber außer als Fremdenführer bei einer Stadtrundfahrtgesellschaft, das Unternehmen gibt es längst nicht mehr, war zu dieser Zeit einfach kein Unterkommen. Das mit der Fremdenführerei habe ich ein paar Monate gemacht, und dann habe ich in der London Times das Angebot von der Midmed-Reederei gelesen und mich beworben. Denen ging es weniger um Englisch oder Französisch als um jemanden, der auch fließend Deutsch konnte. Das korrekte Alter hatte ich auch, also haben Sie mich genommen. – Bereut habe ich die
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