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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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hat.«
    »Ich bin ja alles andere als ein Moralapostel, aber er treibt es wirklich wild für einen Reichsminister. Und seine Magda soll von allem nichts ahnen?«
    Vera zuckte mit den Achseln. »Sie soll nur noch selten in Berlin sein, und wenn, ist sie entweder krank oder in freudiger Erwartung.«
    Karl brummelte etwas Unverständliches und sagte: »Laß uns das Thema beenden, Vera, sonst ist’s um meine gute Laune geschehen. Die Brüder predigen das eine und praktizieren genau das Gegenteil davon. Die SA-Sportgruppen halten Handgranaten-Weitwurf-Wettbewerbe in der Hasenheide ab, und Hitler und Konsorten treten als olympische Friedensengel auf. Fest der Völker , daß ich nicht lache! Es ist der reine Hohn!«
    »Nun laß du mal gut sein, Karlchen. Wennste dich so aufregst, kriegste nur noch mehr graue Haare.« Sie gab ihm einen Kuß. »Und das ist die ganze Bande nicht wert.«
    »Hast ja recht.« Aber Karl konnte sich nicht so schnell beruhigen. »Die Luft zum Atmen in Deutschland wird immer dünner. Stell dir vor: Neulich war jemand bei Rahn und wollte, daß wir uns der Turnerschaft anschließen. Erich hat sie überzeugen können, daß er eine Sportschule und keinen Verein hat, und deshalb auch keinen Grund sieht, da einzutreten. Ballettschulen und Musikschulen würden ja schließlich auch nicht gleichgeschaltet.«
    »Ist er damit durchgekommen?«
    »Bisher jedenfalls.«
    Vera blieb vor einem Schuhgeschäft stehen. Das Schaufenster war leergeräumt. Ein Pappschild baumelte innen an der Türklinke. Laden zu vermieten . »Die Rosenbergs also auch!«
    »Seit vorgestern. Sie wollen nach Palästina, hat mir Maman erzählt. Sie ist mit Anna Rosenberg zur Schule gegangen.«
    »Es ist eine Schande. Diese alten Leute!«
    »Zwei Söhne sollen schon drüben sein.«
    »Trotzdem, Karl. Wenn ich mir vorstelle, meine Eltern würden mehr oder weniger aus ihrer Heimat vergrault werden, wo sie all ihre Freunde und Bekannte haben, dann wird mir speiübel. Das ist doch geradezu unmenschlich! Und jetzt all das blöde Gequatsche von olympischem Geist und von brüderlicher Völkergemeinschaft. Fest der Völker , wer’s glaubt, wird selig!«
    »Kassner hat wieder mal im Kuriersaal Reden geschwungen. Über große deutsche Heldengestalten. Den Alten Fritz hat er natürlich auch bedacht. Obier hat ihn gefragt, warum denn damals so viele Franzosen, Holländer und Österreicher nach Preußen eingewandert sind. Darauf hat er keine Antwort gewußt. Schlagworte nachplappern, darauf versteht er sich. Aber selber denken, das überläßt er den Parteioberen.«
    In der Florastraße war es stiller geworden. Karl und Vera setzten sich noch für ein paar Minuten auf den Balkon. Sie teilten sich ein Bier. Karl rauchte eine Muratti. Eine S-Bahn fuhr über die Wollankstraßenbrücke. Wenn der Wind richtig stand, konnte man sogar das Bremsen hören.
    »Zehn vor zwölf«, sagte Karl und gähnte. »Ab in die Falle!«

20.
    F EST DER V ÖLKER
    Am 1. August des Jahres 1936 begannen die Olympischen Sommerspiele. Auf der mit rotem Sand bestreuten Mittelpromenade Unter den Linden schoben sich die Besucher aus aller Welt durch ein Spalier von Hakenkreuz-Bannern. Die neugepflanzten Linden wirkten kümmerlich neben den hohen Straßenlaternen und den haushohen Fahnenmasten. Die alten Bäume waren abgeholzt worden, damit in Zwölferkolonnen auf den Fahrbahnen marschiert werden konnte. Außerdem hatte man unter dem Pariser Platz einen S-Bahnhof gebaut. Karl fuhr jetzt von Pankow-Nord ohne umzusteigen zur Arbeit.
    Das Adlon war bei den ausländischen Gästen beliebt wie eh und je. Diplomaten aller Herren Länder, der europäische Hochadel, Politiker, die internationale Finanzwelt, sie alle gaben sich wieder ein Stelldichein am Pariser Platz. Mochte das Bristol mehr Badezimmer haben, mochte das Esplanade mehr Fahrstühle besitzen und mochte auch der Kaiserhof den Führer regelmäßig bewirten: Das Adlon blieb die Nummer eins der Reichshauptstadt, die Nummer eins Unter den Linden.
    Mirow und seine Chauffeure waren pausenlos im Einsatz, um die anreisenden Stammgäste von den Fernbahnhöfen und vom Flugplatz zum Hotel zu bringen. Gute Zeiten auch für die Droschkenkutscher, wie die Taxifahrer noch immer genannt wurden.
    »Das meiste Schmalz geben die Amis«, sagte der Finne.
    »Dann mal ran an die Buletten, junger Mann!« Karl lachte und gab ihm einen Zettel. »Um 17 Uhr wollen die Willmores wieder zum Ku’damm, um 18 Uhr kommt ein Mister H. P. Terrem, Ohio, in Tempelhof

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