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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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aufzuspannen. Die Herrschaften hatten es anscheinend nicht so gern, daß man sie von oben beim Tafeln beobachten und ihnen womöglich in die Suppe spucken konnte. Besonders die ausländischen Journalisten, die wegen der kommenden Spiele bereits im Adlon Quartier bezogen hatten, durften keine günstige Gelegenheit erhalten, üppig tafelnde Reichsminister abzulichten, die sonst völkisch-spartanische Eintopfgerichte priesen.
    Ein Dutzend von Burmeisters Leuten kontrollierte die Zugänge des Adlon -Innenhofs. Alle auftretenden Künstler besaßen spezielle Passierscheine und betraten den Wintergarten auf Lilos Zeichen hin. Sie stand neben der geöffneten Glastür. Karl und der Gestapo-Mann beobachteten das Bankett ebenfalls vom Goethe-Garten aus.
    Holtsens Frackbrust schmückte ein handtellergroßer Orden. Er und Randhuber saßen zwischen Joseph Goebbels und Emmy Göring. Ihnen gegenüber waren Sven Hedin und der Reichsluftfahrtminister plaziert. Hermann Göring trug eine weiße Flieger-Galauniform. Als er sich seinem Tischnachbarn Sven Hedin zuwandte, schaukelte die Dreierreihe der militärischen Auszeichnungen. Goebbels war wie fast immer in Zivil erschienen.
    Das vielgängige Menü wurde von den verschiedensten künstlerischen Darbietungen unterbrochen. Der Illusionist Hanussen zauberte, Lieschen Müller jodelte und eine Pianistin intonierte die neuesten amerikanischen Filmmelodien. Goebbels tippte mit den Fingerspitzen im Takt gegen sein Weinglas. Es war eine jazzige Melodie. Karl musterte den Gestapo-Mann. Burmeisters Blick wanderte von Zeit zu Zeit nach oben. In den Appartements im ersten Stock, die er in Beschlag genommen hatte, brannte kein Licht.
    Die Stimmung im Wintergarten war ausgelassen. Zu trinken gab es ausgewählte Weine des Hauses, denen alle ausgiebig zusprachen.
    Göring hielt eine längere Rede und ließ den schwedischen König, den Asienforscher und den Gastgeber hochleben. Dann reichte man Champagner. Lieschen Müller und die Pianistin wurden an die Tafel gebeten. Holtsen hatte sich den Abend etwas kosten lassen.
    Die Venduras und Hassan, der mauretanische Trommler, kauerten schon hinter dem Paravent, als die Nebelmaschine die ersten Schwaden auf das Podest blies. Holtsen erhob sich und bat um Aufmerksamkeit. Die Gespräche an der Tafel verebbten. Hassan kniete sich auf den Teppich und klemmte die ovale Handtrommel zwischen die Schenkel.
    Holtsen räusperte sich. »Verehrte Anwesende! Die folgende Darbietung ist eine spezielle Hommage an unseren verehrten Doktor Hedin.« Er und alle Anwesenden erhoben die Gläser und prosteten Hedin zu. »Das bekannte Artistinnentrio Vendura wird jetzt eine orientalische Akrobatiknummer vorführen.«
    Hassan hatte Holtsens Ankündigung mit ruhigen, gedämpften Schlägen untermalt. Während die Akrobatinnen im Schutz der Nebelwolke auf das Podest stiegen, wurde die Trommel lauter und schneller, steigerte sich schließlich zu einem rhythmischen Inferno, als die schemenhaften Körper der Frauen an Konturen gewannen. Vera, Doris und Birgit waren von Kopf bis Fuß in enganliegende schillernde Seidentücher gehüllt. Sie verharrten reglos, bis sich der Kunstnebel völlig gesenkt hatte. Der Trommelwirbel brach abrupt ab, und die Beleuchtung im Wintergarten erlosch.
    Ein Bühnenscheinwerfer flammte auf, tauchte die Venduras in mildes Rot. Hassans Hände streichelten die Trommel, entlockten ihr einen monotonen Rhythmus wie das gemächliche Dahinziehen einer Wüstenkarawane.
    Die Frauen standen nebeneinander, Vera in der Mitte, links von ihr Doris, rechts Birgit. Die Seidentücher glitten zu Boden. Die Venduras trugen ihre glitzernden Straßtrikots, und die Zuschauer applaudierten spontan, als alle drei synchron Salto rückwärts machten. Hassans Trommel begann zu erzählen, erzählte von Sandstürmen und von Meeresbrandung, sang von Steppen und klarer Nachtluft, von glühenden Küsten und tosender Brandung. Die Körper der Frauen verschränkten sich zu Pyramiden, bestiegen Palmen, umspülten Klippen, sprangen über Schluchten und glitten durch reißende Flüsse. Der Beifall der Zuschauer begleitete die Venduras durch ihr Programm und steigerte sich zu begeisterten Bravorufen und frenetischem Klatschen. Dann kam die Schlußnummer.
    Hassans Trommel raste, schrie. Vera und Birgit packten Doris an Händen und Füßen und schleuderten sie hoch über ihre Köpfe. Vera und Birgit machten einen Ausfallschritt und reckten die Arme in die Höhe. Doris landete im Spagat auf ihren

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