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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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in der Straße, handgenäht, wie Frau Müller jedem stolz verkündete, der sie auf das Banner ansprach. Er war Lehrer, sie Hausfrau. Sie erzogen die Kinder streng. Außer »Danke, Mami!« oder »Bitte, Vater!« sagten sie bei Tisch kaum etwas. Nicht, daß die Müllers viel miteinander redeten. Sie hatten den Volksempfänger auf den Balkon gestellt und hörten Operettenmusik.
    »Vera?«
    »Moment, bitte!« Sie beleckte die Rückseite einer Briefmarke und klebte sie auf das Kuvert. »So, fertig!«
    Karl klappte das Buch zu. »Wollen wir ihn noch einwerfen gehen?«
    Oben hörte die Operettenmusik abrupt auf. Der Führer sprach.
    »Ja«, sagte Vera.
    Den nächsten Briefkasten gab es am S-Bahnhof Pankow-Nord. Die Luft war lind. Die Frauen, die ihnen begegneten, trugen Sommerkleider, viele Männer gingen hemdsärmlig. Frühsommer in Berlin. Balkonien erwachte. Die Tür vom Zur Molle stand offen. Man kloppte Skat, während von Hitler wieder einmal die Vorsehung beschworen wurde. Vera blieb stehen und lauschte. »Hier hat sich Hans oft mit seinen Freunden getroffen. Ob er Berlin vermissen wird?«
    »Als ich in Malta war, habe ich auch manchmal von Berlin geträumt. Ich denke, das ist normal.«
    Vera ging näher an das Kneipenfenster. »Der kleine Dicke da war früher bei den Sozis.« Sie spuckte aus. »Jetzt ist er Blockwart in der Steegerstraße.«
    Karl sagte nichts. Erst neulich hatte er eine hitzige Diskussion mit Hajo geführt. Der Trottel hatte ihm allen Ernstes geraten, in die Partei einzutreten, »… weil man nur etwas zum Positiven verändern kann, wenn man dabei ist!«.
    »Deine Naivität ist himmelschreiend. Du bist ja auch nicht in der Partei!« hatte Karl gesagt.
    »Als Offizier halte ich mich da strikt raus!« hatte Hajo erwidert und damit das gängige politische Selbstverständnis seines Berufsstands artikuliert.
    Es war hoffnungslos, mit Hajo über Politik zu reden. Er war technikbesessen, und solange er nur einen Steuerknüppel in der Hand halten und fliegen durfte, war ihm ziemlich alles egal.
    Sie überquerten die Fahrbahn.
    An der Litfaßsäule neben Vater Binders Zeitungskiosk wurde für die Spiele geworben: Olympia – Fest der Völker . Goebbels und Sven Hedin besuchten das olympische Dorf in Döberitz, Schulkinder standen fahnenschwenkend Spalier. Goebbels und Hedin tätschelten Mädchenköpfe.
    Eine S-Bahn ratterte über die Brücke. Die Schiebefenster waren heruntergedrückt. Hier und da baumelte ein nackter Arm heraus.
    Neben dem Olympiaplakat klebte eine Werbung der Deutschen Lufthansa.
    Der Aufruf, nicht mehr bei Juden zu kaufen, der an jeder öffentlichen Werbefläche Berlins geklebt hatte, war seit Wochen verschwunden, aber in den Randgebieten der Stadt hingen immer noch die Warntafeln: Juden ist das Betreten des deutschen Waldes verboten! Karl hatte es durch einen Adlon -Gast erfahren. Der amerikanische Reporter hatte mit dem Londoner Evening Standard gewedelt und gefragt, wo Mittenwalde liege. »Im Süden von Berlin«, hatte Karl geantwortet. »Nicht sehr weit.«
    Und da hatte ihm der Amerikaner das Foto von der Warntafel gezeigt.
    Vera hakte Karl unter. »Ruella hat heute Doris aus dem Vertrag gelassen.«
    »Und eure Nummer?«
    »Das kriegen wir schon hin.«
    »Was will sie machen?«
    »Sie träumt von einer steilen Filmkarriere. Goebbels hat sie bei der Ufa untergebracht. Eine Nebenrolle. Sie wohnt jetzt in Potsdam. Er hat auch da seine Beziehungen spielen lassen. Eine Dreizimmerwohnung, sogar mit Etagenheizung.«
    »Drei Zimmer für sie allein?«
    Vera hüstelte. »Das denke ich nicht. Ein Zimmer ist vermutlich als Kinderzimmer eingeplant.«
    »Wie bitte?«
    »Hast richtig gehört, Karlchen. Sie ist schwanger.«
    »Ich glaube ja, ich spinne!«
    »Ich mochte es auch nicht glauben, aber Birgit hat sie zufällig in der Friedrichstraße getroffen, und da hat sie es ihr gesagt.«
    »Dieses blöde Huhn!«
    Vera seufzte. »Was soll’s. Alt genug, um zu wissen, was sie tut, ist sie.«
    »Weiß schon jemand davon?«
    »Na, in der Zeitung wirst du bestimmt nichts darüber finden, aber ich schätze mal, Doris wird sich irgendwann vor Stolz nicht mehr beherrschen können und es selbst überall herumtratschen.«
    Karl lachte trocken. »Das ist doch makaber! Göring veranstaltet riesige Freßgelage in Carinhall, Goebbels hurt herum, was das Zeug hält, und die Kerle quatschen ständig von germanischen Tugenden und Zucht und Ordnung!«
    »Es gibt Gerüchte, daß Goebbels mehrere solche Verhältnisse

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