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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Belegschaft, aber ohne den penetranten Anführer hielt sich ihre Agitation in Grenzen. Louis Adlon achtete peinlich darauf, daß keine überzeugten Pg.s die Abgänge ersetzten, die es in jedem großen Hotel regelmäßig gab.
    Erich Rahns Ju-Jutsu-Schule war weiterhin keiner NS-Organisation angeschlossen. Karl war mit zwei Trainingspartnern auf der Matte, als der Beauftragte des Reichssportbunds erneut kam. Der Mann wartete, bis sie ihre Wurfübungen beendet hatten. Im Leuchtturm , wo er mit ihnen ein Bier trank, fragte er Karl nach der Mitgliederzahl.
    »Manchmal sind wir zu dritt, manchmal zu sechst«, sagte Karl ausweichend. »Wie wir so Zeit haben.«
    Der Mann machte sich Notizen. »Sie treffen sich also quasi auf rein privater Basis?«
    »Ja. Ein bißchen schwitzen nach der Arbeit. Andere spielen Skat oder gehen kegeln, wir raufen halt ein wenig.«
    Der Mann erschien nie wieder im Übungskeller.
    Seinen Freund Hajo sah Karl nur noch selten. Er bildete Piloten aus, soviel erfuhr Karl immerhin. Ob für die Legion Condor, danach fragte er nicht. Wenn sie sich trafen, wurde stillschweigend das Thema Politik ausgeklammert. Sie wären eh auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen. Der Kontakt zu Hajo verebbte völlig, als er im Raum München stationiert wurde.
    Dafür war Benno wieder da. Nach dem Wehrdienst bei der Marine war er in Eckernförde geblieben und hatte seine Rosi nachgeholt. Sie hatten in einer Hafenbar gearbeitet, er als Türsteher, sie als Barfrau. Dann hatte es Stunk mit dem Besitzer gegeben, weil der sich an Rosi heranmachen wollte, was dem Herrn Wirt einen gebrochenen Unterkiefer und längeren Krankenhausaufenthalt eingetragen hatte. Jetzt arbeiteten beide wieder im Oriental .
    Mit Professor Blum korrespondierte Karl regelmäßig. Blums Sohn war mit der Familie nach Dänemark ausgewandert. Er betrieb in Århus eine kleine Gemäldegalerie.
    Vater Binder hatte den Zeitungskiosk abgegeben. Er ging täglich mit Theo Höhne angeln. Theo war noch immer arbeitslos.
    Mutter Binder bereitete abends den Fang zu. War Aalsaison, gab es Aal grün mit Gurkensalat und Salzkartoffeln; Karpfen, alldieweil meistens moderig, wurden erst einmal in die Regenwassertonne gesetzt und dann in Biersoße gekocht. Aber oft waren es bloß kleine Weißfische, die angebissen hatten, und bei denen es sich nicht lohnte, sie auszunehmen. Mutter Binder wälzte die Fische in Mehl und Salz und briet sie in tiefem Fett knusprig aus. Alle aßen den Kopf und die Gräten mit.
    Nach dem Training brachte Karl häufig Benno mit zu den Binders. Ein oder zwei unvorhergesehene Münder bei Tisch brachten Mutter Binder nie aus der Fassung.
    »Vermißt du den Zeitungsstand nicht?« Karl leerte den Aschenbecher, Vera spülte, Benno spielte mit Mutter Binder und Theo Höhne Mau-Mau.
    Es hatte Möhrensuppe mit glatter Gartenpetersilie gegeben, Krebse in Gemüsesud (Vater Binder und sein Freund kannten eine Stelle im Tegeler See, die sie zweimal im Jahr »abernteten«), dazu Pellkartoffeln mit Salz.
    Vater Binder schnitt ein daumenlanges Stück von einer Fehlfarben und stopfte sich die Pfeife mit dem Zigarrenstummel.
    »Nee, Karl. Das hat mir überhaupt keinen Spaß mehr gemacht, nur noch diese Nazipostillen zu verkaufen. Ich hab ja immer geklebt. Damit, und mit dem, was ich für den Kiosk gekriegt habe, läßt es sich auskommen.«
    »Apropos ›auskommen‹ – mal wieder wat von Doris jehört?« Benno drehte sich zu Vera um. »Jöbbels hat doch diese neue Flamme, die Baroova, die er überallhin rumschleppt.«
    »Du bist dran!« kommandierte Mutter Binder.
    Benno schaute gehorsam in die Karten und bediente.
    Vera goß das schmutzige Abwaschwasser in den Ausguß. »Sie hat regelmäßig kleinere Filmrollen und kann sich ein Kindermädchen leisten. Am Hungertuch scheint sie also nicht zu nagen.«
    Vater Binder erhob sich und nahm ein Geschirrhandtuch. »So, den Rest erledige ich. Hock dich mal zu deinem Karl!«
    Benno sagte: »Eijentlich wär ick ja mal mit’m Abwasch anner Reije jewesen, aber …« Er ging zur Küchentür, wo sein Mantel neben Karls Lodenjacke hing, und stellte eine Flasche Kümmel auf den Tisch. »… aber vielleicht kann ick ma heute damit auslösen.«
    »Gestattet!« sagte Mutter Binder. »Und jetzt setz dich wieder und – schaut mal her!« Ein Herzas klatschte auf die blaukarierte Wachstuchdecke. »Mau-Mau, meine Herren! – Los, Theo! Du gibst die nächste Runde!«
    Veras Vater schmunzelte. »Tja, wenn die Mutter Karten drischt,

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