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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Handflächen.
    »Bravissimo! Bravissimo!« Goebbels sprang auf. Auch Göring hielt es nicht mehr auf dem Stuhl. Er erhob sich leicht schwankend. Eine Weinflasche kippte um. »Ausgezeichnet, die Mädels!« Randhuber drückte seine Zigarette auf dem Dessertteller aus und rief: »Grandios!« Sven Hedin nickte wohlwollend. Der Applaus wollte nicht verebben.
    »Meine Damen, dürften wir Sie bitten, ein Glas mit uns zu trinken?« Goebbels trat an das Podest.
    »Jawoll, Sekt für die Mädels!« tönte Göring. Sofort waren zwei Kellner zur Stelle.
    Niemand bot Hassan etwas an. Der Propagandaminister reichte Doris huldvoll den Arm.
    Karl konnte sich ein Grinsen nicht versagen, als Göring es seinem Ministerkollegen nachmachen wollte und dabei mit Holtsen kollidierte. Der Schwede erwies sich als äußerst standfest, obgleich Göring auch kein Leichtgewicht war. Der Reichsluftfahrtminister geriet ins Schlingern, nahm es aber mit Humor. »Das nenn ich Schwedenstahl!«
    Holtsen stellte die Venduras Hedin vor. Sven Hedin, bereits im achten Lebensjahrzehnt, war eine beeindruckende Erscheinung. Ergraut, aber mit noch vollem Haar und von kräftiger, hochgewachsener Gestalt, wirkte er geistig und körperlich wie ein rüstiger Endfünfziger. Mit einem charmanten Lächeln bat er die Artistinnen, an seiner Seite Platz zu nehmen.
    »Zigarette?« In Burmeisters Hand blitzte ein goldenes Etui.
    »Warum nicht?« Karl folgte dem Gestapomann zum Brunnen in der Gartenmitte.
    Burmeister rauchte amerikanische Zigaretten. Das Feuerzeug war mit Brillanten besetzt.
    Lilo kam mit Hassan aus dem Wintergarten. »Ich bringe Herrn Hassan schon mal zum Garderobenraum. Bei den Venduras wird es noch etwas dauern, wie es aussieht.«
    »Vous étiez formidable, Monsieur Hassan!«
    »Merci, Monsieur Charles.«
    Burmeisters Lippen zuckten spöttisch, aber er sagte nichts.
    Der Wintergarten war wieder hell erleuchtet. Karl sah, wie Goebbels mit Randhuber tuschelte. Randhuber nickte und verschwand. Er kam in Begleitung von Kassner zurück.
    Goebbels ging ihnen entgegen. Während Randhuber sich wieder zur Tafel begab, traten Goebbels und Kassner in den Goethe-Garten. Der Minister nahm von Burmeister und Karl keine Notiz. Er redete auf Kassner ein. Kassner verbeugte sich fortwährend. Dann eilte er zum Hofeingang des Lesesaals. Karl sah ihn Richtung Halle gehen. Goebbels schlenderte in den Wintergarten zurück und setzte sich neben Doris an die Tafel. Die Kellner servierten Digestifs.
    »Ich muß jetzt meinen Rundgang machen«, sagte Karl.
    »Tun Sie Ihre Pflicht, Herr Meunier. Ich bin überzeugt, viel wird es heute nicht für Sie zu tun geben.«
    ›Ist auch kein Wunder‹, dachte Karl. ›Zwanzig seiner Leute krauchen mindestens im Haus herum.‹
    Als Karl in die Halle trat, schloß sich gerade die Fahrstuhltür hinter Kassner.
    Emil Klempert schlug das Gästebuch zu und faltete die Hände, als sich Karl über den Rezeptionstresen beugte. Er grinste. »Wenn das der Führer wüßte!«
    »Was?«
    »Daß sein Propagandaminister gegen das Meldegesetz verstößt und sich als Herr Schulze bei uns für die Nacht einquartiert.«
    Karl pfiff leise durch die Zähne. »Donnerwetter, welche Ehre für das Adlon ! Na dann kann ich dir ja auch verraten, wer Frau Meier ist.«
    »Gehe ich recht in der Annahme, daß besagte Dame aus Künstlerkreisen stammt? Er wird sich doch nicht etwa von Lieschen Müller in den Schlummer jodeln lassen?«
    »Nein, es wird schon akrobatischer zugehen – Doris Vendura ist die Auserwählte.«
    »Mein Gott, er wird der Filmwelt untreu! Eine Artistin! Welch unersetzlicher Verlust für Babelsberg, falls das einreißen sollte! Man müßte ihn dann ja glatt umtaufen. Der Bock vom Varieté klingt auch nicht schlecht.«
    Die Fahrstuhltür öffnete sich. Kassner durchquerte die Halle mit gewichtiger Miene.
    »Da geht er, der Reichspostillon d’amour!«
    Karl drehte sich nicht um. »Er ist nicht der erste Zuhälter, der in diesen Zeiten Karriere macht.«
    Als Kassner den Wintergarten betrat, knallten Sektkorken.

19.
    A US EINEM T RIO WIRD EIN D UO
    Es war einer der seltenen ruhigen Abende. Karl und Vera saßen bei Kerzenschein auf dem Balkon. Vera hatte die Blumenkästen mit Geranien bepflanzt. Karl hatte es sich in einem Liegestuhl bequem gemacht und las. Vera schrieb einen Brief an Hans. Sie hoffte, ihn bald in Kopenhagen zu treffen.
    Über ihnen wurde zu Abend gegessen. Die Müllers waren neu nach Berlin gezogen. Ihre Hakenkreuzfahne war die größte

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