Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
Vom Netzwerk:
der Stiel ist zu kurz«, sagte Karl.
    »Das haben wir gleich!« Lilo zog eine Stecknadel aus ihrem Rocksaum und steckte die Blume fest. »So, jetzt biste wieder präsentabel!«
    »Wenn der gesamte Sprachendienst des Auswärtigen Amtes zwei Wochen im Adlon hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt werden soll, dann kann man bald mit einer politischen Überraschung rechnen.« Karl trat neben den Generaldirektor ans Fenster. »Und ich fürchte, es wird keine angenehme sein. Der Sprachendienst ist für die Übersetzungen von Hitlers Reden zuständig. Seltsam, daß sie das jetzt bei uns machen wollen. Eine undichte Stelle bei Ribbentrop?«
    Ein uniformierter Chauffeur hielt Gautier die Wagentür auf und salutierte. Burmeister stieg nach dem Geheimrat ein.
    Louis Adlon runzelte die Augenbrauen. »Sie meinen, ob es im Auswärtigen Amt einen Spion gibt? Wer weiß! – Ich kann jedenfalls bloß noch konstatieren, Meunier, daß ich nicht mehr Herr in meinem eigenen Haus bin!«
    »Was wird aus den Gästen, die bereits für die dritte und vierte Etage reserviert haben?«
    »Ich werde ihnen anbieten, im Continental zu wohnen. Mehr kann ich nicht tun.«
    »Ich sehe es gar nicht gerne, wenn demnächst Gestapo-Techniker an unserer Telefonanlage herumbasteln.« Karl ging zum Schreibtisch, hob den Telefonhörer ab und drehte die Sprechmuschel heraus. »Rasch ein paar Drähte ausgetauscht, und schon hat man eine Abhörvorrichtung.«
    »Sie werden bemerken, Meunier, daß mir die Begeisterung darüber ins Gesicht geschrieben steht. Aber Sie haben ja gehört, was Randhuber gesagt hat: ›Aus Sicherheitsgründen müssen die Leitungen zum dritten und vierten Stockwerk unterbrochen werden.‹« Louis Adlon stampfte mit dem Hacken auf. »Leibesvisitation bei Zimmermädchen und Etagenkellnern, immer wenn sie den Bereich betreten oder verlassen! Sogar die Speiseaufzüge und die Rohrpostleitungen werden versiegelt! Das ist doch …! – Wer nimmt eigentlich die Leibesvisitation bei den Frauen vor? Diese Gestapo-Banausen?«

2.
    M IT DER T ASCHENLAMPE DURCH DAS VORWEIHNACHTLICHE B ERLIN
    Sie klopften sich gegenseitig im Treppenhaus den Schnee von den Mänteln und gingen sofort in die Küche. Vera ließ die Fensterläden herab. Dann erst knipste sie das Licht an. Die Luftschutzwarte verstanden keinen Spaß. Selbst das Anzünden einer Zigarette im Freien brachte eine Verwarnung ein. Busse und Autos hatten Filzkappen über den Scheinwerfern, in die schmale Schlitze geschnitten waren. Motorisierter nächtlicher Straßenverkehr in Deutschland bedeutete Schrittempo. Taschenlampen durften benutzt werden, wenn man das Glas mit blauem oder rotem Papier beklebte. Aber Taschenlampen waren Mangelware. Um gesehen zu werden, behalfen sich die Fußgänger deshalb mit Leuchtknöpfen an den Mänteln. Überzeugte Parteimitglieder trugen sie als ein phosphoreszierendes Hakenkreuz arrangiert.
    Karl spaltete Kleinholz mit dem Küchenbeil. Vera behielt den Mantel an und setzte Teewasser auf. »Oh, ich glaube, das war das letzte Streichholz!« Sie wärmte sich die Handflächen über dem Wasserkessel.
    »Egal. Aber laß bitte das Gas brennen, bis der Ofen richtig zieht. Ich mach bei dem Schneetreiben möglichst keinen Schritt mehr vor die Hütte.«
    Sie hatten ein Paket vom Postamt abgeholt. Hans schickte regelmäßig Lebensmittel, und Mutter Binder sorgte dafür, daß die Familien der ermordeten Kameraden von der Millionenbrücke ihren Anteil bekamen. Seit Kriegsausbruch wurden Auslandssendungen scharf vom Zoll kontrolliert. Das Paket war geöffnet und durchwühlt worden, aber es fehlte nichts.
    Nach dem Überfall auf Dänemark und Norwegen blieb Vera nur noch der briefliche Kontakt zum Bruder. Sie und auch ihre Eltern hatten einen Reiseantrag ins neutrale Schweden gestellt, der aber ohne Angabe von Gründen abgelehnt worden war.
    Karl zerknüllte Zeitungspapier und stopfte es in den Ofen. Seit es nur noch Klopapier gab, mit dem man ohne weiteres eine Metalltür abschmirgeln konnte, kaufte auch Karl den Völkischen Beobachter . Auf das Papier schichtete er Holz, darauf vier Preßkohlen. Er riß einen Streifen von einer Zeitungsseite ab und hielt ihn in die Gasflamme. Marschall Henri Philippe Pétain fing Feuer.
    Vera kramte im Paket. Plötzlich jauchzte sie auf. »Mensch, Karl! Brüderchen hat uns wieder mit englischem Tee bedacht!«
    »Toll! Selbst im Adlon gehen die Vorräte langsam zur Neige. Und Hitler sehe ich noch lange keine Reden in Speaker’s Corner

Weitere Kostenlose Bücher