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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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alte Mann gezittert. Ich habe ihn zu trösten versucht. Er hat meine Hände genommen und sie fest gedrückt. ›Der Paßbeamte, Fräulein Binder – er heißt Alfons Herler –, ich habe ihn und alle seine Geschwister zur Welt gebracht!‹« Vera rüttelte Karl am Arm. »Karl! Warum macht denn keiner was gegen diese Verbrecher! Wo waren denn die guten Deutschen, als die Synagogen gebrannt haben und die Kaufhäuser verwüstet wurden!«
    Karl sah Vera an und schwieg.
    »Verdammt, sag doch was, Karl!«
    Karl hob die Zeitung.
    Deutschland und die Sowjetunion hatten einen Nichtangriffspakt geschlossen.
    »Nein«, sagte Vera entsetzt. »Nein, das darf nicht wahr sein!«
    »Doch«, sagte Karl leise. »Es ist wahr. Gerade als du vorhin zur Tür raus warst, kam ein Telegramm von Klempert. Der russische Botschafter gibt ein Galaessen für das Auswärtige Amt. Ich werde heute im Adlon schlafen.«
    Gegen Mitternacht rief Vera im Hotel an. Karl ließ sich das Gespräch in Obiers Büro stellen.
    »Ja?«
    »Benno konnte heute nicht zur Arbeit kommen. Rosi war bei ihm, als die Polizei sie wachgeklingelt hat. Er ist schon auf dem Weg nach Eckernförde. – Muß angeblich zu einer Reservistenübung!«
    »Das überrascht mich nicht«, sagte Karl. »Bei uns fehlen auch zwölf Leute, und alle sind in seinem Alter.«

23.
    … DENN HEUTE GEHÖRT UNS D EUTSCHLAND
    Vor Louis Adlon lagen der Dienstplan des kommenden Monats und ein blaßgrünes, postkartengroßes Blatt. Die leitenden Hotelangestellten saßen schweigend am runden Tisch im kleinen Konferenzraum. Louis Adlon wartete, bis seine Frau neben ihm Platz genommen und Küchenchef Fliegenwald ihr Feuer gegeben hatte. Hedda Adlon führte die silberne Zigarettenspitze an die Lippen und starrte in die Luft. Der Generaldirektor räusperte sich.
    Das Adlon hatte in den letzten Wochen ein Kommen und Gehen von Politikern und Diplomaten gesehen, wie selten in seiner Geschichte. Daß die Delegationen aus Italien, Japan und Spanien nicht über Kulturaustauschprogramme mit der Reichsregierung berieten, ließ sich unschwer erraten: Die Hälfte aller Delegationen bestand aus hohen Offizieren, die abends in Begleitung von deutschen Generalstäblern die Bar und das Restaurant bevölkerten. Das Hotel war ausgebucht wie stets, aber die ausländische Prominenz, die sonst den Sommer in Berlin verbrachte, fehlte fast völlig. Seit Hitlers Einmarsch in die Rest-Tschechoslowakei traute man dem Frieden in Europa nicht mehr so recht.
    Deshalb war im Grunde auch niemand im Konferenzraum sonderlich überrascht, als Louis Adlon seine Rede mit den Worten eröffnete:
    »Meine Damen und Herren, die Reichsregierung hat die Zwangsbewirtschaftung für Nahrungsmittel verfügt. Wer ab morgen bei uns speist, muß im Besitz einer Lebensmittelkarte sein. – Das gilt auch für das Personalessen.«
    Die blaßgrüne Karte ging von Hand zu Hand.
    »Wie Sie sehen, gibt es Abschnitte für Fett, Fleisch, Eier, Brot und so weiter.«
    Henry, der Chefmixer aus der Adlon -Bar, schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber wenn Herr Professor Sauerbruch abends mit einem Kollegen an der Bar einen Schoppen trinkt und dazu ein belegtes Brötchen bestellt, dann muß ich ihn doch nicht nach seiner Lebensmittelkarte fragen, oder?«
    »Das müssen Sie sogar unbedingt, mein lieber Henry!« Hedda Adlon richtete die Zigarettenspitze auf den Barchef. »Die Strafen für Mißbrauch und Nichtbeachten der Bestimmungen sind drastisch.«
    »Sie gestatten, Herr Generaldirektor?« Obier griff nach dem Dienstplan. Halblaut zählte er die durchgestrichenen Namen auf der Liste. »Einundzwanzig. Gestern waren es noch siebzehn. Ich glaube, wir ahnen alle, was das bedeutet.«
    Nur Karl sprach es aus. »Ja«, sagte er. »Es gibt Krieg.«

Teil III
    K RIEG

1.
    R IBBENTROPS E INQUARTIERUNGEN
    Vor dem Linden-Eingang des Adlon warteten Limousinen des Auswärtigen Amts auf die Angehörigen der französischen und britischen Botschaft, die seit Kriegsbeginn im Hotel eine Art Ehrenhaft verbracht hatten.
    Als letzter trug ein Dolmetscher der englischen Botschaft, Lawrence C. Teasdale, ein kleiner agiler Mann, mit dem Karl manchen Abend in der Bar verplaudert hatte, seinen Koffer zur Rezeption. Unter den wachsamen Blicken von Burmeisters Leuten verabschiedete er sich von Louis und Hedda Adlon. Dann reichte er Karl die Hand. »I am convinced you didn’t want that damned war – and I didn’t want it either. Take care, Mister Charles!«
    »Thank you, Lawrence.« Karl

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