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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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begleitete Teasdale zur Drehtür. Pleschke, der Portier, nahm ihm den Koffer ab.
    Draußen wartete der Schweizer Geschäftsträger und zeigte Pleschke, in welchem Wagen Teasdale fahren würde. Karl ging zum Rezeptionstresen zurück. Die Fahrzeugkolonne setzte sich in Bewegung.
    »Fahren die jetzt direkt zur Schweizer Grenze?« Karl griff nach dem 12-Uhr-Blatt . Am dreiundzwanzigsten Tag seit Beginn der Kampfhandlungen hatten die deutschen Truppen Warschau eingenommen. Die spöttische Schlagzeile lautete: »Gab es überhaupt einen Krieg?«
    »Soviel ich weiß, geht es erst einmal nach Bad Nauheim und von dort aus weiter in die Schweiz.« Klempert rückte sich den Krawattenknoten zurecht. »Was ist eigentlich mit den Journalisten. Werden die auch ausgetauscht?«
    »Keine Ahnung, aber ich vermute schon. Schließlich haben wir ja ebenfalls Berichterstatter in Paris und London.«
    Klempert prüfte den Sitz seines Jacketts im Spiegel, korrigierte nochmals den Schlipsknoten. »Kleidung soll es bald auch nur noch auf Karte geben.«
    Karl blätterte in der Zeitung und verzog das Gesicht. Burmeister erschien in der Drehtür. Er trug einen weichen Hut in der Farbe seines Kammgarnanzugs. »Auf die neueste englische Mode wird der auch demnächst verzichten müssen – selbstredend nur, bis England in großem Stil erobert worden ist.«
    Klempert sah Burmeister im Spiegel und drehte sich um. »Der schon wieder. Man könnte glatt meinen, er gehört zum Hotel.«
    Burmeister grüßte und steuerte auf Hedda und Louis Adlon zu, die in der Lobby von einem Reporter der New York Times interviewt wurden. Hedda Adlon hatte am Vortag in der Halle ein monströses Aktgemälde aufhängen lassen, auf das sie von Zeit zu Zeit deutete. Der Reporter machte ein Foto von den Adlons und verabschiedete sich mit Handshake. Die Adlons gingen zum Fahrstuhl.
    Burmeister versank in einem Clubsessel unter dem Aktgemälde und behielt den Eingangsbereich im Auge.
    Karl nahm das Gästebuch aus dem Schuber. Direktor Holtsen hatte sich angekündigt. Zur gleichen Zeit würde eine zehnköpfige russische Handelsdelegation im Adlon wohnen. Er schaute in das Fach, wo die Aufträge für die Hausdruckerei steckten. Die Russen hatten am kommenden Mittwoch den Bankettsaal ganztägig belegt. Küchenchef Fliegenwalds Auftrag lautete auf fünfzig doppelseitige Menükarten und auf Tischkarten mit den Namen der Gäste. Der erste auf der Namensliste war Randhuber.
    Ein Herr trat aus der Drehtür und ging auf Klempert zu. Karl sah, wie Burmeister sich erhob.
    Der Herr stellte sich als Geheimrat Gautier vom Auswärtigen Amt vor und bat, Herrn Adlon zu sprechen. Ein Page eilte mit der Visitenkarte des Geheimrats davon, Klempert griff zum Telefon. Burmeister kam zur Rezeption und schüttelte Gautier die Hand.
    Klempert legte auf. »Der Herr Generaldirektor erwartet Sie in seinem Büro. Ein Page wird Sie führen.«
    »Nicht nötig«, sagte Burmeister. »Ich kenne den Weg.«
    Als sie den Fahrstuhl bestiegen, sagte Karl: »Wer war der andere?«
    »Auf der Karte stand: Leiter vom Sprachendienst, Auswärtiges Amt.«
    »Das könnte sehr wohl im Zusammenhang mit der russischen Handelsdelegation stehen, daß dieser Herr hier auftaucht.«
    »Schon – aber Burmeister?«
    »An den werden wir uns vermutlich gewöhnen müssen.« Karl griff in das Ablagefach unter dem Rezeptionstresen, wickelte eine gelbe Nelke aus nassem Zeitungspapier, betupfte sie mit einer Serviette und steckte sie ins Knopfloch. »Wenn jemand nach mir verlangt, ich bin im Lesesaal.«
    Als Fritzchen in der Tür vom Lesesaal erschien, stellte Karl gerade die Hesse-Romane aus der unteren Regalreihe in die Lücke zwischen Hamsun und Goethe. Wer immer auch die Ganghofer-Gesamtausgabe entwendet haben mochte – einen entsprechenden Ausleihzettel gab es nicht –, hatte sich eine schwere Last aufgebürdet, literarisch und gewichtsmäßig.
    »Was gibt es?«
    »Der Herr Jeneraldirektor möchte Sie sprechen, Herr Meunier.«
    »Ist er im Büro?«
    »Ja, Herr Meunier.«
    »Sind die Männer auch noch bei ihm?«
    »Ja. Der … der Polizist und eener, den ick im Hause noch nie jesehen habe.«
    »Danke, Fritzchen, geh vor und sag, ich käme sofort.« Karl klappte den Karteikasten mit den Ausleihzetteln zu. Auf dem Weg zum Büro traf er Lilo. »Jemand hat den ganzen Ganghofer mitgehen lassen. Schau mal nach, ob noch was fehlt. Ich muß jetzt zu L. A.«
    »Einen Moment, Karl!«
    Die Nelke drohte aus dem Knopfloch zu rutschen.
    »Ich glaube,

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