Unter den Linden Nummer Eins
letzte Woche ooch schon da. Sind ’n paar schmucke Jören, die drei, kann ick da flüstern!«
Erich Rahn sprach die Schwarzhaarige an. Der ältere Mann kniete nieder und schien mit der Faust die Konsistenz der Übungsmatte zu prüfen. Die beiden blonden Frauen schleppten eine offenbar sehr schwere Tasche in den Damenumkleideraum. Benno schob sich neben Karl. »Da hamse ihre Jeräte drin. Der Olle is denen ihr Lehrmeester.«
Karl hörte kaum zu. Erich Rahns Gesprächspartnerin machte ein paar Dehnübungen, während sie sich mit ihm unterhielt, fiel in den Spagat, setzte die Handflächen vor sich auf die Matte und drückte sich in Zeitlupe in den Handstand. Plötzlich fiel ihr Blick auf Karl und Benno. Sie streckte ihnen die Zunge heraus.
»Die gefällt mir«, sagte Karl.
»Karlchen, für die biste ville zu oll«, frotzelte Benno, »det könnte glatt deene Tochter seen.« Er verpaßte Karl einen Rippenstoß und zerrte ihn in den Umkleideraum. »Die wär eha wat für mir.«
Karl griente ihn an. »Wohl kaum, mein Lieber! Deine Rosi würde dich massakrieren.« Er steckte nochmals den Kopf durch die Tür. Die Frau machte aus dem Handstand einen Salto rückwärts, landete einen Meter vor Karl, knickste wie eine Primaballerina und entfernte sich radschlagend in Richtung Damenumkleide.
»He, Karl, mach hinne, wir ha’m Durst«, ertönte es vielstimmig aus dem Umkleideraum.
Karl reagierte nicht. Er schaute der Frau nach.
»Mach hinne, Karlchen«, rief Benno. »Wir verdursten bereits!«
Karl sagte noch immer kein Wort.
»Is wat?« sagte Benno.
»Nee, nee«, sagte Karl. Aber er flunkerte: Ihn hatte es erwischt.
Der Leuchtturm in der Bahnstraße war die Stammkneipe der Ju-Jutsu-Truppe. Eine buntgemischte Truppe, die Karl seit dem Malta-Debakel regelmäßig jeden Dienstag traf. Dietrich war Arzt, Günther Müllmann, Bernd reparierte Aufzüge und Diggl arbeitete bei der Post. Benno war Rausschmeißer, oder vornehmer ausgedrückt: Türsteher in einer Bar am Ku’damm, und Paule schraubte an Flugzeugmotoren. War der Meister einmal nicht in Berlin, übernahmen Karl, Diggl und Benno abwechselnd die Trainingsstunden. Die waren durchweg gut besucht, denn viele waren arbeitslos und kamen täglich. Wenn es auch nicht immer nach der Stunde für eine Molle reichte, zumindest hatte man es für einige Zeit warm, und Geselligkeit hatte man auch.
Die Leute um Erich Rahn waren nicht Karls erste Erfahrung mit dem fernöstlichen Kampfsport. Sein Partner auf Malta, Jonny Snyders, hatte jahrelang in Asien gearbeitet, darunter drei Jahre in einem japanischen Luxushotel in Tokio, wo er fanatisch Ju-Jutsu geübt hatte. In Valletta hatte er sich einen Schuppen in der Nähe vom British Hotel gemietet, ihn mit einer dicken Lage Strohmatten ausgepolstert und Karl in die Geheimnisse dieser angeblich so sanften Selbstverteidigungskunst eingeführt.
Herta, die Mutter vom Wirt, räumte das Schild privat vom großen runden Tisch am Kachelofen, als Benno mit den ersten Trainingskameraden das Lokal betrat.
»Heute ist Karl dran, Muttchen«, sagte Benno. »Zapf mal schon ’ne Runde für alle an.«
»Wieville seita denn heute?«
»Denke so um die zwölf.« Dietrich hängte seinen Turnbeutel an die Stuhllehne. »Kann aber auch einer mehr sein.«
Muttchen schlurfte hinter den Tresen und reihte Biergläser auf.
»Wo bleibt er eigentlich?« fragte Diggl und trug zwei zusätzliche Stühle heran. »Er is doch mit mir raus?«
»Er is noch mal zurück«, sagte Günther, »hat seinen Schal verjessen.«
»So, so!« sagte Benno und dachte sich seinen Teil. Er kannte seinen Freund. Karl hatte den Schal natürlich mit Absicht vergessen.
10.
Z UR A BWECHSLUNG GIBT ES EIN ANGENEHMES W IEDERSEHEN
Ernst Udet und Hans-Joachim Galgon entstiegen einem Taxi und wurden augenblicklich von einem Herrn angesprochen. »Verzeihung, aber Sie sind doch die Gäste von Herrn Direktor Holtsen!«
»So ist es«, sagte Ernst Udet.
»Ja«, sagte auch sein Begleiter. Plötzlich packte er Karl am Oberarm. »Mensch, Karl! Du? Das kann doch nicht wahr sein! – Herr Udet, darf ich Ihnen Oberleutnant Meunier vorstellen? Ich war in Frankreich als Fähnrich Luftbeobachter für das 2. Gardefeldartillerieregiment. Wir haben so manchen Abend im Casino verplaudert.«
»Angenehm«, sagte Ernst Udet.
»Angenehm«, sagte Karl. »Aber Oberleutnant, das ist lange her.«
»Was nicht mehr ist, kann ja wieder werden, Herr Meunier.« Ernst Udet musterte ihn von oben bis unten. »Das Reich
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