Unter den Linden Nummer Eins
präsentierte Karl sein Ergebnis. Louis Adlon sagte kein Wort, sondern starrte nachdenklich aus dem Fenster. Die Verkehrsgeräusche von den Linden drangen gedämpft durch die Glasscheiben. Auf der schneematschnassen Fahrbahn wälzte sich der Feierabendverkehr. Der Generaldirektor begann, vor dem Fenster auf und ab zu wandern, ohne Karl eines Blicks zu würdigen oder dessen Bericht zu kommentieren. Karl befingerte nervös das Notizbuch, in dem er die fehlenden Posten notiert hatte, und räusperte sich.
Louis Adlon atmete tief durch, setzte sich hinter den Schreibtisch und bedeutete Karl, ebenfalls Platz zu nehmen.
»Pardon, Meunier. War in Gedanken versunken. Hat nichts mit Ihnen zu tun. Sie haben Ihre Sache gut erledigt.«
»Wenn Sie mich fragen, dann muß die Schwachstelle in der Weinhandlung liegen.«
»Ich weiß, Meunier, ich weiß.«
»Und zwar muß es jemand sein, der zeichnungsberechtigt ist.«
Louis Adlon griff nach dem Brieföffner und kratzte auf der ledernen Schreibunterlage herum. »Ja?«
»Wer, bitte, Herr Generaldirektor, ist dort zeichnungsberechtigt?«
Der Brieföffner kratzte drei Kreuze ins Leder. »Obier, Kassner und in Ausnahmefällen der diensthabende Küchenchef.«
Karl öffnete sein Notizbuch und entnahm einen Quittungsbon. »Ist das die Unterschrift von einem der Küchenchefs?« Er legte den Bon auf die Schreibunterlage. Jemand hatte mit einem unleserlichen Schnörkel die Bezahlung von achtzehn Flaschen Veuve Cliquot bescheinigt.
»Nein. Dieses Kürzel ist mir nicht bekannt. Noch nie gesehen. Kenne auch niemanden im Haus, der grüne Tinte benutzt.« Louis Adlon umklammerte das Miniatursamuraischwert und spießte die Quittung auf. »Gibt es mehr davon?«
Karl bejahte.
Louis Adlon erhob sich aus dem Schreibtischsessel und nahm seine stumme Wanderung vor dem Fenster wieder auf. Plötzlich blieb er stehen. Er sah Karl direkt in die Augen, verschränkte die Hände auf dem Rücken und sagte: »Meunier, was ich Ihnen jetzt erzähle, muß unter uns bleiben, sonst kann es ungemütlich für uns beide werden.« Und er berichtete Karl von den SA-Motorradfahrern in der Wilhelmstraße.
»Ich habe auf den Dienstplan geschaut, bevor Sie kamen, Meunier. Sie haben eigentlich kommenden Dienstag frei. Aber ich würde Sie ausnahmsweise bitten, Überstunden zu machen. – Können Sie Auto fahren?«
12.
B EI EINEM H ÜFTWURF KOMMEN SICH V ERA UND K ARL NÄHER
Karl war gerade im Begriff, Benno in die Beinschere zu nehmen – wahrhaftig kein leichtes Unterfangen –, als die Schwarzhaarige den Kellerraum in der Bahnstraße betrat, sich auf einen der Zuschauerstühle setzte, Erich Rahn am anderen Mattenende freundlich zuwinkte und die Beine übereinanderschlug. Karl versuchte, seinen Übungspartner so zu drehen, daß er die Frau besser sehen konnte und ihr nicht halb den Rücken zukehren mußte. Dabei gelang es Benno, die Fußklammer zu lösen. Gnadenlos nutzte er Karls Nachlässigkeit aus und konterte mit einem Armstreckhebel. Die Frau beobachtete interessiert Karls verzweifelte Befreiungsaktionen und quittierte sein hektisches Abschlagen, als der Hebel wirkte, mit einem Lächeln. Leicht spöttisch, erschien es Karl, als würde sie daran zweifeln, daß die Verrenkungen, die die Männer veranstalteten, tatsächlich weh taten.
»Besuch für dich«, raunte ihm Benno ins Ohr, als er ihn aus dem Armstrecker entließ und ihn in den Schwitzkasten nehmen wollte. Dieses Mal reagierte Karl besser. Ihm gelang ein Hüftwurf. Benno landete dicht vor der Frau. Karl zog einen imaginären Hut und deutete eine Verbeugung an.
Benno rappelte sich hoch. »Na, Frollein, wolln Se bei uns mitturnen?«
Karl stellte sich neben seinen Freund und massierte sich den Hals. »Wir bringen Ihnen alles ruck, zuck bei.«
»Ja«, sagte Benno. Er rieb sich das rechte Auge. Karls Ellenbogen hatte es gestreift. »Is janz leicht.«
»Das bezweifle ich nicht«, sagte die Frau. »Aber wohl nicht ganz gesundheitsverträglich.«
»Ooch«, sagte Benno, »allet nur halb so wild.«
»Ach«, sagte Karl, »sieht schlimmer aus, als es ist.« Seine Trainingsjacke war ihm aus dem Gürtel gerutscht. Der Knoten hatte sich geöffnet. Er bot keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Männer!« sagte sie. »Und wie soll mich der Conférencier ankündigen?« Sie nahm ein Holzmesser aus der Kiste, in der die Übungswaffen deponiert wurden, und hielt es sich wie ein Mikrofon an die Lippen: »Meine Damen und meine
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