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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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treffe mich ziemlich regelmäßig mit meinem alten Regimentskommandeur, Professor Blum.«
    »Dem Anglistikprofessor? – Ich erinnere mich gut an ihn, aber ich hatte nicht sehr viel mit ihm zu tun.«
    »Ich habe sogar nach dem Krieg bei ihm studiert.«
    Aus dem Séparée drangen abwechselnd Udets Bariton und ein fülliger, angenehmer Tenor.
    »Ich geh mal jetzt lieber rein«, sagte Galgon und öffnete die Tür.

11.
    K ARLS A LLTAG GESTALTET SICH FORTLAUFEND ANGENEHMER
    Zu tun gab es stets reichlich. Karl arbeitete sich schnell zur vollen Zufriedenheit von Louis Adlon ein. Er kümmerte sich darum, daß Madame X sicher ins Theater und ins Adlon zurück gelangte, half bei Lord Y als Chauffeur aus, diente den französisch- und englischsprechenden Gästen als Dolmetscher und machte sich überhaupt nützlich. Bald riefen ihn die Amerikaner bloß noch Mister Charly, und die Franzosen verlangten nach Monsieur Charles (»Le jeune homme qui sait tellement bien faire la conversation, cher M. Adlon …«).
    Hedda Adlon war weiterhin auf Reisen. Ihr Foto stand goldgerahmt auf dem Schreibtisch von Louis Adlon. Karl sah den Generaldirektor zweimal täglich: bei Dienstantritt, wenn Louis Adlon mit ihm die Aufgaben des Tages durchsprach, und bei Dienstschluß, wenn Karl seinem Chef Bericht erstattete.
    Karls Arbeit war in drei Schichten gegliedert, Früh- oder Spät- beziehungsweise Nachtdienst. Während seiner Abwesenheit kümmerte sich ein gewisser Herr Schneider um die hausinternen Sicherheitsbelange, ein unscheinbarer Mann mit einer ovalen Hornbrille auf der spitzen Nase. Karl sah ihn immer nur kurz bei der Übergabe des Dienstbuchs. Zwei Kolleginnen existierten auch. Meistens arbeitete Frau Fleischer in Karls Schicht. Aber nur Karl bekam seine Direktiven von Louis Adlon. Die anderen erhielten die Aufgaben von Verwaltungsdirektor Kirchhoff zugeteilt. Das führte anfangs gelegentlich zu Verstimmungen, wohl aus unterschwelligem Neid wegen Karls Sonderstellung, aber da er diese nie ausspielte, normalisierte sich das Verhältnis bald, und man pflegte einen kooperativen Arbeitsstil. Es dauerte ein paar Tage, bis sich Karl auf Anhieb überall im Haus zurechtfand. Er lernte, daß das Adlon über eine eigene Wasser- und Stromversorgung verfügte, daß es anstelle von Klingelzeichen dezente Lichtsignale gab, daß jedes Zimmer Telefon hatte und man bemüht war, den Gästen jedweden Wunsch zu erfüllen, der im Bereich des Möglichen lag. Um Mitternacht Thunfischpüree für drei Rauhhaardackel? Kein Problem! Einen Norwegischlehrer täglich von neun bis zehn für Zimmer 18? – Aber sicher, gnädiges Fräulein! Herr Koichi Matsutake wünschen einen Rundflug über Potsdam und Umgebung? – In einer zwei- oder dreimotorigen Maschine, Matsutake-san? Herr Doktor wünschen den neuesten Edgar Wallace? Karl konnte dieses Problem umgehend lösen, indem er dem Doktor sein eigenes Exemplar vom Grünen Bogenschützen als Nachtlektüre zur Verfügung stellte, denn das Edgar-Wallace-Fieber war durch den Tod des Autors zu einer wahren Epidemie angewachsen. Es gab Verfilmungen der Romane, Bühnenfassungen und sogar Vertonungen. Krimifans fragten nach dem Zimmer, in dem der Meister während seines Berlinaufenthalts gewohnt hatte, und waren selig, in denselben Räumen residieren zu dürfen wie ihr verehrter Autor. Karl teilte die Begeisterung dieser Leute schon lange. Seinen ersten Edgar Wallace hatte er bereits auf Malta in die Hände bekommen.
    Wenn die Rätsel der Toten Augen von London und des Zinkers lösbar waren, wieviel unaufwendiger mußte man den Champagnerschwund im Weinkeller klären können.
    Karl saß in dem verglasten Büroraum des Küchenchefs, hatte vor sich die Kassenbons und Lieferscheine aus der Wilhelmstraße ausgebreitet und versuchte, einen Überblick über das Ausmaß des Schadens zu gewinnen. »Es verschwindet Champagner«, hatte Louis Adlon gesagt. »Kriegen Sie raus, wer, wie und wieviel.«
    Karl hatte mit dem Wieviel angefangen. Wie man das machte, hatte er oft genug in Malta geübt, wenn mit den Aushilfskräften in der Bar abzurechnen war.
    Nach zwei Stunden intensiven Rechnens hatte Karl ein grobes Ergebnis für den Vormonat. Es fehlten rund einhundert Flaschen im Einkaufswert von eintausend Mark. Außerdem war der Verbleib von mehreren Flaschen Malzwhisky unklar. Die Küche oder die Konditorei hatten sie nicht angefordert, und ein Anruf in der Bar und im Café brachte auch keine befriedigende Antwort.
    Bei Dienstschluß

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