Unter den Linden Nummer Eins
kurvigen Handschrift gefüllt, als Fritzchen zu ihm trat.
»Sie wollten etwas von mir?«
»Nichts Wichtiges, Fritzchen. Ich möchte von dir bloß wissen, wo ich den Baron antreffen kann, wenn die letzte Ausgabe der römischen Abendzeitungen gebracht wird. Er soll dann gleich benachrichtigt werden.«
»Na, ich denke, er wird in der nächsten halben Stunde bestimmt noch in der Bar zu erreichen sein.« Fritzchen grinste verschmitzt. Einem pfiffigen Pagen entgeht kaum etwas. »Weil … weil … Er hat nämlich dort gerade eine Flasche Chianti für sich und Herrn Kassner bestellt!«
Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Fritzchen erhielt von Karl einen Fuffziger .
»Brauchen Sie mich noch weiter?«
»Nein, Fritzchen. Danke!«
Karl schrieb: »Ich erlebe hier gerade die allermerkwürdigsten Konstellationen, was Leute angeht. Sei bitte so nett und versuche folgendes für mich herauszufinden …«
Als Karl den Briefumschlag adressierte und auf die Standuhr neben dem Kamin blickte, war es Punkt fünf. Er beschloß, einen Blick in die Bar zu werfen und dann noch auf ein Bier zu Benno zu fahren, bevor der in seinen Nachtklub mußte.
Kassner und der Baron hatten die Köpfe zusammengesteckt. Sie saßen auf den hohen ledernen Barhockern und unterhielten sich wie gute alte Bekannte. Toni, der Barmann, der neben den Pagen derjenige im Adlon war, der fast immer alles wußte, sah Karl im Spiegel hinter den tuschelnden Männern. Er schickte ihm einen fragenden Blick zu.
Karl legte die Handfläche an eine unsichtbare Glasscheibe. »Laß gut sein!« signalisierte die Hand. »Nichts von Bedeutung, Toni, bin quasi schon wieder weg. Auf ein andermal!«
Toni verbeugte sich unmerklich.
18.
K ARLS L EBEN UND F INANZEN ORDNEN SICH PEU À PEU
Karl machte die Arbeit Spaß. Mit Hedda Adlon hatte er weniger zu tun, als er befürchtet hatte. Sein direkter Vorgesetzter blieb der Generaldirektor (vielleicht, weil Hedda Adlon die Entscheidung, Karl zu engagieren, nicht so richtig mittrug). Mister Charly’s oder Monsieur Charles’ Hilfe wurde gerne von den Hotelgästen in Anspruch genommen und honoriert. Karls Brieftasche bekam es angenehm zu spüren. Dank des Geldsegens war Karl in der Lage, die Wertsachen im Leihhaus Schönlein auszulösen und seine Garderobe durch das eine oder andere gute Stück zu ergänzen.
Einige der Hotelgäste äußerten die ausgefallensten Wünsche. Ein Industrieller lebte in ständiger Angst vor einem Attentat. Karl mußte täglich mit dem Fuhrparkleiter seinen Wagen nach versteckten Bomben untersuchen. Eine Madame Toussant befürchtete Eifersuchtsdramen verflossener Liebhaber. Man sah Karl im Frack an ihrer Seite beim Empfang des türkischen Botschafters, er begleitete sie hoch zu Roß auf ihren morgendlichen Ausritten und patrouillierte nächtens um geschmackvolle Villen, die Madame Toussant durch die Vermittlung der Adlons tageweise anmietete. Die Franzosen waren förmlich und bisweilen schrecklich borniert. Sie behandelten das Personal von oben herab. Von den ausländischen Gästen schätzte er die Amerikaner, nicht bloß, weil sie spendierfreudig waren, sondern auch wegen ihrer natürlichen Art, mit Leuten der arbeitenden Bevölkerung umzugehen. Die Japaner gaben nie Trinkgeld, dafür gab es häufig Verständigungsprobleme. Wenn sie tranken, verloren sie schnell die Kontrolle über ihr Benehmen. Engländer waren oft schrullig, aber damit konnte Karl leben. Eklig waren die faschistischen Korrespondenten aus Italien. Sie gaben sich als Missionare. Die ausländischen Militärs, die im Adlon abstiegen, behandelten Karl als ehemaligen Kollegen. Am liebsten waren ihm die Literaten. Gerhard Hauptmann kam regelmäßig, ebenso Thomas Mann.
Den berühmten Fünf-Uhr-Tee mochte Karl nicht. Es ging hektisch zu, und in dem Gewimmel kam es des öfteren zu Diebstählen. Ganz Berlin strömte zu der Nachmittagstanzveranstaltung ins Adlon : bekannte Filmregisseure und arbeitslose Schauspieler, mittellose Dichter und Literaturpäpste, ältliche Konzernherren auf der Pirsch nach netten, adretten Fräuleins, Mütter mit Töchtern auf der Suche nach Schwiegersöhnen aus gutem Hause. Ältere, alleinstehende Damen wurden von Eintänzern getröstet. Viele im Haus mochten die Eintänzer nicht, aber Karl kam gut mit ihnen zurecht. Oft waren es ehemalige Offiziere, die sich so durchs Leben schlugen. ›Immerhin angenehmer als Kohlenschippen‹, dachte Karl. ›Aber auch kein Traumberuf. – Wie fühlt man sich, wenn einem die
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