Unter den Linden Nummer Eins
patschte ihm vor gespielter Aufregung aufs Knie. »Dann, bitte, bitte, einen Apfelsaft, lieber Onkel Karl.«
›Du Luder!‹ dachte Karl. ›Den Onkel zahle ich dir bei Gelegenheit heim, na warte!‹ Aber er spielte das Spielchen weiter mit. »Herr Ober, das kleine Fräulein hätte gerne …«
Vera hielt ihm mit beiden Händen den Mund zu. »Hören Sie nicht auf ihn, Herr Ober. Bringen Sie mir bitte ein Glas Sekt. Und für den Herrn auch.« Sie zog die Hände weg. »Einverstanden, Herr Karl?«
Karl massierte sich die Mundpartie. »Ich wage nicht zu widersprechen.« Fräulein Vendura hatte den soliden Griff einer Akrobatin.
»Es wird keine bleibenden Abdrücke geben, Sie können beruhigt sein.«
»Bei allem, was recht ist, Fräulein Vera. Sie sind nicht von Pappe!«
Vera beugte sich vor und entnahm ihrer Handtasche eine Zigarettenspitze aus Elfenbein und einem Lederetui eine filterlose Zigarette. Der Kellner schoß herbei und gab ihr Feuer. Karl fand das Flimmern der Schultermuskeln aufreizend, als sie den Arm ausstreckte, um ihre Handtasche zurückzulegen. »Danke!« hauchte sie dem Kellner zu. »Und falls Sie einen Aschenbecher …«
»Sofort, Madame!« Der Kellner versuchte angestrengt, seine Augen unter Kontrolle zu halten. Es mißlang. Immer wieder huschten sie über Veras Ausschnitt. Er hatte Karls Mitgefühl.
›Die weiß, was sie will‹, dachte er.
Der Kellner wäre fast über eine Teppichkante gestolpert, als er den Aschenbecher brachte. Vera, ganz Vamp, schenkte ihm einen betörenden Augenaufschlag. Dann schaute sie Karl an.
›Und wenn sie will‹, Karl wich ihrem Blick nicht aus, ›weiß sie auch, wen sie will!‹
Das Saallicht erlosch, die Kapelle spielte einen Tusch, ein Scheinwerfer zeichnete einen roten Kreis auf den Bühnenvorhang, der teilte sich, im Scheinwerferkegel stand ein Mann. »Mesdames et Messieurs …« Das Programm hatte begonnen.
»Ist das der Chef?«
»Ja.«
Vera rutschte mit ihrem Stuhl näher an Karl heran und flüsterte ihm zu: »Komischer Akzent. Kein Franzose. Italiener?«
»Glaube, Benno sagte, Spanier. Er heißt Ruella. – Veilchen?«
»Wie bitte?«
»Ihr Parfüm. Veilchen?« Karl beugte sich über ihre Schulter und schnupperte.
Sie kicherte leise. »Herr Karl, wirklich reizend, wie Sie versuchen, sich den Anschein eines Parfümkenners zu geben. Aber leider liegen Sie total falsch. Das ist Jasmin.«
Das Programm war wild gemischt, aber im großen und ganzen gelungen. Ein Hundedompteur hatte drei Pudel, die fehlerfrei auf einem Miniklavier kleinere Melodien klimpern konnten, eine Sängerin sang freche Lieder über die erste Liebesnacht, das bekannte Jonglierduo Ernst und Puffke beeindruckte mit mörderisch scharfen Dolchen, die sie gleich im Dutzend durch die Luft wirbelten, und die Tänzerin Lana la Belle begann mit einem Schleiertanz und endete mit einem Ausdruckstanz, den man getrost einen Ausziehtanz hätte nennen können. Zwischendurch gab es jazzige Ohrwürmer. Dann war Pause. Die Künstler hatten den ersten Auftritt des Abends beendet. Sie bereiteten sich hinter der Bühne und in der Garderobe auf ihre nächste Nummer vor. Überall auf den Tischen gingen elektrische Kerzen an. Die Kapelle spielte Tanzmusik. Die ersten Paare erhoben sich.
»Hat es Ihnen gefallen?« Für Vera gab es einen Handkuß, für Karl eine Verbeugung. Der Besitzer des Oriental schnappte mit den Fingern. Ein Kellner eilte herbei.
»Sie bleiben bei Sekt?«
Karl und Vera bejahten.
»Hol uns noch eine Flasche, Willi. – Sie gestatten doch?« Er setzte sich zu ihnen.
Vera zeigte zur Saaldecke. »Wie hoch?«
»Äh, ich verstehe nicht …«
»Ich meine, wie hoch ist die Saaldecke?«
Der Nachtklubbesitzer zuckte mit den Achseln. »Fünf Meter, oder sechs?«
»Sechs wären ideal«, sagte Vera. »Herr Benno hat Ihnen geschildert, was wir Venduras so machen?«
»Er sprach von einer tollen Akrobatiknummer, mehr nicht.«
Vera griff nach der Handtasche. »Ich zeichne es Ihnen auf. Einen Stift habe ich, aber falls Sie ein Blatt Papier …«
Ruella winkte dem Kellner und ließ sich einen Abrechnungsblock geben. »Reicht das?«
»Völlig. Sehen Sie, das bin ich.« Vera zeichnete ein Strichmännchen, das die Arme in die Hüfte stemmte. »Und das ist meine Partnerin Brigitte, sie klettert auf meine Schultern.«
Vera zeichnete mit raschen Strichen den Ablauf der Nummer, die Karl im Übungskeller gesehen hatte.
»… und wir drei haben dann die gleiche Endpositur. Etwa so!« Vera drehte
Weitere Kostenlose Bücher