Unter den Linden Nummer Eins
rauchen‹«, las Sven Hedin und schaute Randhuber vorwurfsvoll an. »Wir wollen diese Stätte doch nicht entweihen, lieber Doktor, nicht wahr?«
»Äh, keineswegs, keineswegs«, sagte Randhuber und zertrat rasch die Zigarette mit seiner Schuhspitze.
An sonnengeschützten Stellen des Tempelhügels lag noch Schnee. Alter Baumbestand gab dem Anwesen eine zusätzliche Würde. Das Grundstück war groß. Irgendwo ertönte ein Gong. Von mattem Gelb waren die Gebäude, gelb und orange leuchteten die Gewänder der Männer am Kopf der Treppe.
»Gelb«, sagte Sven Hedin, »ist die Farbe der indischen Bhikkus, der Asketen. Es ist eine heilige Farbe.«
Per Wilhelm Holtsen war neben dem Asienforscher gelaufen, hinter ihnen Karl, dann, immer drei, vier Stufen im Rückstand und als einziger hörbar nach Luft ringend, Doktor Bruno Randhuber.
»Gelb, meine Herren, ist die Farbe der Wahrheitssucher. Sie haben gut gewählt!« Er betrachtete die Nelke in Karls Knopfloch. »Aber ich nehme an, das ist Zufall.«
»Völliger Zufall, Herr Doktor. Ich pflege mir jeden Mittwoch eine gelbe Nelke zu kaufen. Aus dem einfachen Grund, weil die Blumenfrau jeden Mittwoch mit frischen Nelken vor dem Adlon steht.«
Der Mann in der weiten Safranrobe war kahlgeschoren. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er mochte um die Sechzig sein.
»Buddhistische Mönche, tibetische Lamas, alle tragen Gelb als Ausdruck des Suchens nach Wahrheit«, dozierte Sven Hedin. Karl hatte einen Asiaten erwartet, aber der Mönch war ein Deutscher. Er berlinerte unverkennbar, als er die kleine Besuchergruppe in die Andachtshalle bat. Die Andachtshalle war im Stil eines japanischen Tempels errichtet und mit dem Hauptgebäude, in dem die Mönche wohnten und studierten, durch einen schmalen, überdachten Gang verbunden. Der Mönch schritt voran und erklärte mit Fremdenführerstimme: »Det da vorne is Gotama, der historische Budda. Wat Se sehn, is ’ne siamesische Statue. Hat ’n reicha Inda jespendet.«
»Der Buddhismus der südlichen Schule hat kaum theistische Züge.« Sven Hedin stellte sich vor die goldene Buddhastatue an der Stirnwand des Andachtsraums. »Die Gläubigen verehren ein Prinzip, kein göttliches Wesen.«
Randhuber und Holtsen setzten sich auf Klappstühle, Karl stellte sich neben den Asienforscher und den Mönch. Es war schummrig im Raum. Eine schwache Deckenlampe war die einzige Lichtquelle. Der Buddhajünger entzündete eine Reihe wohlriechender Wachskerzen.
Holtsen winkte Karl heran. »Ich vergaß ganz, Herr Meunier. Wir erwarten noch einen Besucher. Vielleicht schauen Sie mal nach, ob er schon eingetroffen ist. Wenn ja, dann sagen Sie ihm bitte, wo er uns finden kann. Wir werden uns vermutlich nicht lange hier aufhalten. Sie können unterdessen ruhig im Wagen auf uns warten und die Kiste schon mal richtig für uns vorheizen.« Karl verstand, daß, wer immer der Besucher auch war, sein Verbleiben im Andachtsraum nicht erwünscht war. Aber Karl mußte nicht mehr nach dem Erwarteten Ausschau halten. Er stand bereits in der Tür zur Andachtshalle. Die Kerzen spiegelten sich in einem Paar Brillengläser, die aus der Entfernung ungerahmt wirkten.
16.
E IN R EICHSFÜHRER DOZIERT ÜBER K AISER A SCHOKA
»Herr Reichsführer!« sagte Randhuber, sprang auf und schlug die Hacken zusammen.
»Bitte, meine Herren, machen Sie sich doch meinetwegen keine Umstände«, sagte Heinrich Himmler.
»Denn laß ick Sie mal während Ihrer Andacht alleene«, sagte der Mönch.
»Ich begleite Sie«, sagte Karl.
Der Mönch schloß die Tür geräuschlos hinter ihnen. »Wolln Se ’nen Tee, bevor Se zum Auto jehn?«
»Da sage ich nicht nein!«
Der Mönch führte Karl in eine geräumige Küche. »Kräuter oder Schwarzen?«
»Schwarzen Tee, falls Ihnen das nichts ausmacht. Sagen Sie, waren die Leute, die ich hierhergekutscht habe, eigentlich angemeldet?«
»Der Mann, der eben jekommen is, war letzte Woche schon mal mit dem dicken Herrn hier«, sagte der Mönch.
›Ein Bankier aus Göteborg, der Reichsführer der SS, eine NSDAP-Wirtschaftsgröße und ein berühmter schwedischer Asienforscher, von dem jeder weiß, daß er Zugang zum Hof hat‹, dachte Karl. ›Ich wette, die philosophieren im Moment kaum über den Edlen Achtfachen Pfad zur Erleuchtung.‹
»Mit Zucker?« fragte der Mönch.
»Einen halben Löffel, bitte«, sagte Karl.
Karl täuschte sich zumindest teilweise. Himmler, der höfliche Umgangsformen schätzte, war ein Meister des Small talk. Außerdem war
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