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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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patrouillierte, war außer Hörweite. »Sie sprachen von einem zuverlässigen Pg., den ich jederzeit kontaktieren könnte. Warum trägt er eigentlich sein Parteiabzeichen nicht?«
    Randhubers Miene verfinsterte sich. »Es gibt eine Verordnung, die das Tragen von Parteiabzeichen in der Öffentlichkeit verbietet – natürlich richtet sich kaum ein aufrechter Volksgenosse danach. Aber ich schätze, daß der Herr Adlon auf Einhaltung dieser Verordnung während der Arbeitszeit besteht. – Warten Sie’s ab, Herr Direktor! Es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Wenn wir erst …« Er entzündete eine neue Zigarette an der glimmenden Kippe, die ihm fast den Zeige- und Mittelfinger versengte.
    Beim Abendrapport saß wieder Louis Adlon hinter seinem Schreibtisch. »Ich danke Ihnen, Meunier. Wir leben in sich schnell wandelnden Zeiten. Hoffen wir, daß der braune Spuk aus München sich bald verflüchtigt hat.«
    Im Kurierzimmer traf Karl auf Mandelbaum, der gerade in seinen Mantel schlüpfte. Der Oberpage wirkte verbittert. »Kassners erste Amtshandlung bei den Rezeptionsmitarbeitern war eine Hetztirade gegen die jüdisch-bolschewistische Verschwörung in aller Welt. Hat mir einer der Pagen erzählt. Niemand hat es gewagt, Kassner offen zu widersprechen. Selbst als ich durch Zufall zu der illustren Versammlung stieß – sie saßen in der Telefonzentrale –, hat er nicht damit aufgehört, sich allerdings etwas vorsichtiger geäußert als während meiner Abwesenheit. Weißt du was, Karl? Ich hab’s langsam satt!«
    »Nimm es nicht so tragisch, Erwin. Stehst ja nicht allein.«
    »Da bin ich mir immer weniger sicher«, sagte Mandelbaum. »Was hast du heute getrieben?«
    Karl berichtete.
    »Siehste, Karl? Sie krauchen überall herum, diese braunen Ratten. Auch im Ausland. Es ist zum Kotzen. Ich glaube, ich mach mich ab aus Deutschland.« Mandelbaum knöpfte den Mantel zu und griff nach seiner Aktentasche. »Kommst du mit zum Bus?«
    Karl schüttelte den Kopf. »Hab noch was zu erledigen.«
    »Na denn!« sagte der Oberpage und klemmte sich die Aktentasche unter den Arm.
    Karl schwieg und hob hilflos die Schultern.
    Für Karl als Hausdetektiv galten gewisse Regelungen der Hausordnung nicht. Auf besondere Anordnung von Louis Adlon durfte er den Lese- und Schreibsaal benutzen, im Restaurant speisen und sich in der American Bar aufhalten, ohne daß ihn ein Gast ausdrücklich dazu eingeladen haben mußte.
    Im Lesesaal brannte anheimelndes Kaminfeuer, von einem Pagen beaufsichtigt. Karl versorgte sich mit Adlon -Briefpapier und setzte sich vor den Kamin. Der Anlaß, diesen Brief zu schreiben, war in persona anwesend. Baron de Neva studierte am Nebentisch die neuesten italienischen Zeitungen und Zeitschriften. Jetzt, wo er ihn aus der Nähe sah, erinnerte sich Karl an die zusammengewachsenen Augenbrauen und das energische Kinn. Baron de Neva pflegte es wie der Duce zu recken. Die alte maltesische Hauptstadt Mdina, wo der Baron für die Anschlußpartei kandidiert hatte, war bepflastert gewesen mit Plakaten, die ihn in Mussolini-Pose zeigten. Baron de Nevas Partei votierte für den Anschluß Maltas an das faschistische Italien. Piccolo duce oder Duce von Mdina hatten ihn die Gegner genannt oder, besser ausgedrückt, beschimpft. Der Piccolo Duce ahnte nichts davon, daß der Mann mit der gelben Nelke im Knopfloch just in diesen Minuten seinem englischen Freund einen Brief nach Valletta schrieb, in dem er sich nach der genauen politischen Ausrichtung eines gewissen Gianni de Neva erkundigte.
    Kassner kam in den Lesesaal. Er machte einen zögerlichen Schritt in Richtung Kamin, drehte sich um und verschwand wieder. Kurz darauf brachte Fritzchen dem Baron eine Nachricht, überreichte sie auf silbernem Tablett. Fritzchen bekam eine Münze zugesteckt. Baron de Neva ließ die Zeitung, in der er gerade geblättert hatte, achtlos zu Boden gleiten, grüßte Karl, den er für einen Hotelgast hielt, und schob den Sessel zurück. Augenblicklich war der Lesesaalpage zur Stelle, hob die Zeitung auf, faltete sie sorgfältig und brachte sie zum Zeitungsständer. Der Baron gab auch ihm eine Münze und folgte Fritzchen zum Ausgang.
    Karl rief den Lesesaalpagen zu sich. »Wenn Fritzchen seinen Auftrag ausgeführt hat, möchte ich ihn umgehend sprechen!«
    »Jawohl, Herr Meunier.« Der Page ging zum Telefon im Vorsaal.
    Karl adressierte das Kuvert an seinen Freund: Mr. John Conway, 42, Battery St., Valletta, Malta. Er hatte knapp eine Seite mit seiner

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