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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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ist.«
    »Weiß er, weshalb dein Bruder aus Berlin weg ist?«
    »Ich habe es angedeutet. Hans wird ihm alles selber erzählen.«
    Vera hakte sich bei Karl ein. »Laß uns noch ein paar Schritte laufen, ich nehme dann Unter den Linden den Einser zum Ku’ damm.«
    Auf der Friedrichstraße herrschte das mittägliche Verkehrsgewühl. Vielleicht waren mehr Uniformierte auf der Straße als sonst. Die Zeitungsjungen machten mit Extrablättern ein gutes Geschäft. Ansonsten waren die Berliner wieder zur Tagesordnung zurückgekehrt. Nur der ambulante Würstchenverkäufer an der Bushaltestelle hatte den Tragriemen seines Kessels mit selbstgebastelten Hakenkreuz-Symbolen beklebt. »Frische Bockwurst im erwachten Deutschland«, pries er seine Ware an.
    »Die sehen mir aber dünner aus als die alten«, sagte ein Passant.
    »Quatsch mit Soße, der Herr!« Der Verkäufer packte eine Bockwurst mit der Holzzange. »Sehn Se doch selbst! Knakkiger und praller als je zuvor! Und wenn wa erst keene Reparationen mehr löhnen müssen, werden Se ooch noch billiga werdn.«
    Vera blieb stehen. »So recht scheinen Sie mir aber an die neuen Zeiten nicht zu glauben, Ihre Wurst kostet einen Sechser mehr als letztes Mal!«
    »Ach, wissen Se, Frollein, noch pressen se uns ja aus!«
    »Auf die Logik werde ich Vegetarier, mein Guter.« Vera ging kopfschüttelnd weiter.
    »Das hat ihn deutlich überfordert«, sagte Karl.
    Auf der anderen Straßenseite kontrollierte eine Polizeistreife die Papiere der Bauchwarenhändler, die Nähgarn, Schnürsenkel oder ähnliche Pfennigartikel feilboten. Der Überlebenskampf war hart im winterlichen Deutschland.
    Vera krallte sich plötzlich in Karls Oberarm. »Karl? Ob Hans es schaffen wird?«
    »Er wird es. So makaber es ist: Hätte einer von seinen Kameraden überlebt, würden seine Chancen weitaus weniger gut stehen.«
    »Aber alle bei uns in der Straße wissen, daß er bei den Kommunisten ist.«
    »Darüber würde ich mir keine unnützen Gedanken machen, Vera. Kommunisten gibt es im Wedding zuhauf.«
    »Mir wäre wohler, wenn er ins Ausland gehen würde. Mauern kann er überall.«
    »Nun mal erst abwarten, wie es sich für ihn in Stettin bei deinem Onkel anläßt.«
    »Hast recht, Karl. Bin halt in Sorge um den Kleenen.«
    »Sei mal nicht bange, wird schon werden.« Karl legte den Arm um ihre Schulter und drückte sie fest an sich. »Was machst du jetzt?«
    »Ich schau noch mal in meiner Buchhandlung vorbei und versuche dann, ob ich den Generaldirektor unter vier Augen erwische. Die Angelegenheit mit Kassner und den Geheimdienstleuten läßt mir keine Ruhe. Später bin ich noch mit Benno verabredet. Muß mal wieder mit ihm auf die Matte. – Wie lange dauert euer Fototermin?«
    »Kann schon sechs, sieben werden, bis wir fertig sind.«
    »Falls ich das Stündchen mit Benno überleben sollte, fahre ich zu deinen Eltern.«
    Vera nickte. »Ich auch. Also bis dann.« Der Bus kam. Vera stieg aufs Oberdeck.
    Es begann stark zu regnen, als Karl die Buchhandlung in der Behrenstraße erreichte. Trotz des Regens betrachtete er eine Weile die Auslagen im Schaufenster von Asher und Co . Ein neuer Faulkner war auf dem Markt und auch ein Hemingway, den er noch nicht kannte: Death in the Afternoon . Louis-Ferdinand Céline lud den Leser ein zu einer Voyage au bout de la nuit . Ein Schild neben dem Buch kündigte die baldige deutsche Übersetzung an.
    Jakob Asher, wie stets untadelig gekleidet, erhob sich von seinem Drehstuhl hinter dem Regal mit deutschen Novitäten, als Karl das Geschäft betrat. Über dem Schirmständer hing eine Garderobenstange mit ledergepolsterten Kleiderbügeln. Karl entledigte sich seines triefenden Mantels und fuhr sich mit dem Taschentuch über Gesicht und Haar. »Kein Kaiserwetter für den ersten Tag von Herrn Hitler!«
    Jakob Asher war ein quirliger kleiner Mann, der eine frappante Ähnlichkeit im Aussehen und in seiner Gestik mit dem Berliner NSDAP-Gauleiter Goebbels hatte, aber nicht dessen Einpeitscherstimme. »Fürwahr trübe Zeiten! Aber nichts währt ewig. Und eine weitere Sintflut wird heute nicht über uns hereinbrechen, die gab es nur einmal, versprochen ist versprochen, wenigstens in diesem Punkt sind sich die Schriften einig.« Er schüttelte Karl die Hand und sagte mit leichtem Vorwurf: »Wenn man Sie neuerdings in natura erleben will, lieber Herr Meunier, muß man sich immer erst ins Adlon begeben!«
    »Viel, viel Arbeit«, sagte Karl. »Zum Glück!«
    »Ja«, sagte der Buchhändler.

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