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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Enden der Gazebinde und drückte den Gummiverschluß auf die Jodflasche.
    Hans verzog das Gesicht. »Jetzt könnte ich einen Schnaps gebrauchen.«
    »Schnaps ist nicht, aber in der Speisekammer müßte noch eine Flasche Danziger Goldwasser sein«, sagte Karl. »Wurst und ein Brot gibt es auch, falls du Hunger hast.«
    Unten fiel die Haustür ins Schloß, dann waren Schritte vernehmbar. Absatzschuhe. Karl öffnete Vera die Tür.
    »Ist er schon da?«
    »Er schmiert sich gerade eine Stulle. Ich habe ihn soeben verarztet.«
    »Schlimm?«
    »Nichts Tragisches. Er hat Glück gehabt. Nur ein leichter Streifschuß.«
    Vera stürmte an Karl vorbei in die Küche. Hans saß auf der Eckbank am Küchentisch und entpellte ein Stück Krakauer.
    Vera stemmte die Arme in die Seiten und preßte die Lippen zusammen. Sie schüttelte den Kopf und sagte leise: »Du Idiot! In was für eine Scheiße hast du dich bloß wieder reingeritten!« Dann fiel sie ihm um den Hals.
    Hans grinste matt und gab Vera einen Kuß auf die Stirn. »Ich hab noch mal verdammtes Schwein gehabt, Schwesterherz!«
    Karl stellte zwei weitere Gläser auf den Tisch. »Er muß weg aus Berlin – und zwar schnell!«
    »Ja«, sagte Vera. »Ganz schnell sogar. Die Gruppe SA-Führer, die sich immer mit Kassner bei uns trifft, ist um Mitternacht ins Oriental eingefallen und hat so richtig die Sau rausgelassen. Sie waren voll wie die Haubitzen. ›Heute schlachten wir die Bolschewiken und das andere Gesocks‹, haben sie gegrölt. Benno hat sich zu ihnen gesetzt und den Obernazi und Kommunistenfresser gemimt und hat sie ausgehorcht: Erst sollen die Kommunisten und die Sozialisten über die Klinge springen, dann sind die Juden dran. Sei eh ein und derselbe Sumpf, und den müsse man radikal austrocknen.«
    Karl holte sich einen Stuhl.
    Vera goß ein und ihrem Bruder nach. »In der Brunnenstraße bin ich eben an eurem Parteibüro vorbeigefahren. Alle Scheiben waren draußen. Gebrannt haben muß es auch, jedenfalls standen noch zwei Feuerwehrwagen hinter der Polizeikette.«
    »Polizeikette?« Karl zog das Jackett aus und legte es neben Vera auf die Eckbank. »Keine SA?«
    »Nein, hab nur Polizei gesehen.«
    Hans beobachtete, wie die hauchdünnen Goldplättchen langsam zu Boden sanken, dann leerte er das Glas auf einen Zug. »Polente oder SA, ist doch eh ein Brei. Geschossen haben jedenfalls die Bullen auf uns.«
    »Was ist mit der Mitgliederkartei, Hans?«
    »Die ist schon längst vernichtet.«
    »Direkt erkannt hat dich also keiner von denen?«
    »Glaube nicht, wir waren zu weit weg.«
    »Und wen haben sie erschossen?«
    »Erich und den kleinen Thomas aus der Steegerstraße. Ich war als erster mit dem Transparent über das Geländer. Ein Auto ist über die Brücke gefahren und hat sie voll angestrahlt, als sie gerade abspringen wollten.« Hans vergrub sein Gesicht in den Handflächen. »Da haben sie einfach losgeknallt, bis die beiden sich nicht mehr gerührt haben, die Schweine!« Hans bekam einen Weinkrampf.
    Vera strich ihm über das Haar und drückte ihn an sich. Hans beruhigte sich langsam. Sie gab ihm ein Taschentuch.
    »Danke, ich berappele mich schon wieder.« Er nahm einen Schluck. »Ich hab das mit den anderen alles vom Bahndamm mit angesehen, Karl, es war eine regelrechte Exekution. Die wollten uns nicht bloß einlochen.«
    Karl sagte: »Und dann?«
    »Dann? Als sie mir nachgeklettert sind, habe ich ein paar Schüsse in ihre Richtung abgegeben, da haben sie wohl Schiß gekriegt, weil sie mit der Brückenbeleuchtung von hinten gute Zielscheiben abgegeben haben. Das Transparent habe ich über einen Gartenzaun geschmissen und bin losgerannt. Sie haben noch hinter mir hergeschossen. Da hat mich dann dieser Streifschuß erwischt. Aber weiter verfolgt haben sie mich nicht.«
    Vera streifte die Schuhe ab, zog mit dem Fuß einen Schemel heran und streckte die Füße aus. »Was fangen wir jetzt am besten mit dir an, Hänschen? Ich bin dafür, daß du gleich morgen früh aus Berlin verschwindest. – Von wo aus hast du eigentlich mit mir telefoniert?«
    »Aus der Zelle in der Provinzstraße. In die Kneipe wollte ich nicht, da war noch Betrieb.«
    »Gut! Dann hat dich auch bei uns auf der Ecke keiner gesehen.« Vera schaute Karl an. »Dein alter grauer Anzug müßte ihm eigentlich passen. Und der Überzieher von deinem Vater auch.«
    Hans wollte etwas sagen, aber Vera schnitt ihm das Wort ab. »Du wirst dich morgen ordentlich rasieren, Karl dich neu verbinden und dir eins von

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