Unter den Linden Nummer Eins
Ladentür zugedrückt, die er für seine Kundin geöffnet hatte.
»Das war knapp, meine Dame! – jetzt kommt bloß noch Wasser von oben.« Er verabschiedete sie höflich und schloß erst die Tür hinter ihr, als sie den Regenschirm aufgespannt hatte.
Der Buchhändler stellte sich zu seiner Angestellten hinter den Kassentisch. »Ich sehe, Sie sind fündig geworden.«
»Bei der ausgezeichneten Beratung konnte das nicht ausbleiben«, sagte Karl.
Fräulein Polzin wickelte Veras Buch in Geschenkpapier ein. »War die Dame eben nicht Frau Lewin?«
»Mir schien es auch so«, sagte Karl. »Man sieht die Lewins nur noch selten im Adlon .«
»Ja«, sagte Herr Asher. »Sie hat sich den neuen Baedeker Schweiz bestellt. Die Gebrüder Lewin verlegen den Hauptsitz ihres Handelshauses nach Genf.«
»Das hört man jetzt öfter«, sagte Karl. »Da fällt mir ein, einen Reiseführer für meinen Osterurlaub könnte ich eigentlich auch gleich mitnehmen.«
»Wo soll es denn hingehen?«
»Nicht weit weg, für ein paar Tage in die Nähe von Schöppenstedt, einen alten Kriegskameraden besuchen. Seine Eltern besitzen dort einen Bauernhof.«
Herr Ashers Finger glitten über Buchrücken. »Hm, Goslar, Braunschweig und Umgebung … Nein, ich muß erst im Katalog nachsehen, ob es über diese Gegend etwas gibt.«
Herr Asher blätterte im Katalog. »Ah! Das sollte für Sie das richtige sein: Zwischen Asse und Elm . Ich müßte das Buch aber beim Verlag bestellen, und das dauert, wenn man Pech hat, schon vierzehn Tage.«
»Bitte, tun Sie es«, sagte Karl. »Es eilt mir nicht. Ich frage Anfang nächster Woche mal nach.«
»Ach, was ich Sie noch fragen wollte: Darf man bald wieder auf eine Übersetzung von Ihnen hoffen? Ich durchforste jedesmal die Morgenpost nach einer Ihrer Kurzgeschichten, aber vielleicht habe ich was übersehen.«
»Übersetzen? Ich habe kaum mehr Zeit zum Lesen, mein Bester!«
Mit einer Büchertüte unter dem durchweichten Mantel eilte Karl zum Wirtschaftseingang Wilhelmstraße.
4.
K ASSNER BLEIBT UMTRIEBIG
Der Portier schaute ihn verdutzt an. »Ich dachte, Sie haben frei.«
»Hab ich auch«, sagte Karl. »Aber für den Rest des Tages könnte ich meinen Schirm vielleicht gebrauchen, und der steht in meinem Spind.« Er zog den nassen Mantel aus. »Seien Sie so gut und packen den irgendwo hin, wo er keine Überschwemmung verursacht. Es wird nicht lange dauern.« Der Portier nahm Mantel und Büchertüte entgegen.
Um möglichst ungesehen in das Büro von Louis Adlon zu gelangen, wählte er den Weg durch den Schreibsaal. Der war um die Mittagszeit meist leer. Louis Adlon pflegte seine Hauptmahlzeit abends einzunehmen. Die Chance, den Generaldirektor in seinem Büro anzutreffen, war gut.
Karl mußte gar nicht erst durch die Lobby, wo er es kaum hätte vermeiden können, Kassner aus dem Weg gehen zu müssen. L. A. stand mit dem Rücken zu ihm in Betrachtung versunken vor dem Pendant zu Heddas Reitergemälde. Der Generaldirektor hoch zu Roß und der Generaldirektor im Schreibsaal musterten sich stumm.
Karl räusperte sich. »Ein Meisterwerk, wenn mir die Bemerkung gestattet ist.«
»Ein gutes Bild, wenn auch meine Person leicht geschönt ist. Aber wahrscheinlich habe ich beim Reiten wirklich weniger Stirnfalten.«
Fritzchen öffnete die Saaltür. Der Generaldirektor schüttelte den Kopf. Fritzchen machte einen Diener und verschwand.
»Ich weiß, daß heute Ihr freier Tag ist. Nach dem Bericht von Frau Fleischer habe ich offen gestanden dennoch mit Ihnen gerechnet. – Die Aktentasche hat sich wieder angefunden!«
»Wie bitte?« Karl kniff die Augen zusammen. »Ist wieder da?«
»Dem Sekretär des Botschafters wurde sie vor einer Stunde von Ihrer Kollegin ausgehändigt. – Was sagen Sie nun?«
»Rätselhaft«, murmelte Karl. »Ich habe doch mit eigenen Augen gesehen, wie die Frau damit in dem Mercedes davongefahren ist.«
»Ich zweifle nicht an Ihren Worten, Meunier. Tatsache ist, die Tasche wurde von der Putzfrau in einer Herrentoilette gefunden.«
»Ist bekannt, wann das war?«
»Es muß wohl gewesen sein, als die Frühschicht zum Saubermachen gekommen ist, also zwischen sechs und sieben.«
»Wann hat Kassner heute den Dienst angetreten?«
»Laut Plan um halb sieben.«
»Ich werde der Sache nachgehen, Herr Generaldirektor.«
»Dezent, Meunier, dezent!«
Fritzchen vertrieb sich vor dem Schreibsaal die Zeit damit, seine Pagenuniformknöpfe mit einem Taschentuch auf Hochglanz zu polieren.
»Hast du
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